2192 - Wider den Seelenvampir
Gewohnheit ist wie ein Muster und stellt eine sich wiederholende Ordnung dar.
Daraus entsteht Vorhersehbarkeit und damit die Voraussetzung ..."
Er vollendete den Satz nicht, aber Maxxim nickte trotzdem. Sie wussten beide, dass die Vorhersehbarkeit in den Handlungen des Souveräns die Voraussetzung für einen Erfolg war. Sie konnten ihn nur - er schreckte unbewusst vor dem Wort zurück, dachte es dann aber doch - töten, wenn sie lange vorher wussten, wo er zu welchem Zeitpunkt sein würde. So, wie der Flug der Kapsel von einer möglichst geringen Fläche abhing, war der Erfolg des Attentats von einer möglichst geringen Anzahl Zufällen abhängig. Als 6-D-Mathematiker verstand Postal alles über Formeln mit vielen Unbekannten.
Maxxim strich mit der Hand über die neue Wandverkleidung. „Jorvool und Bennan könnten ein Problem werden. Sie wollen ihre Spender freigeben."
„Was?" Postal verbarg seine Überraschung nicht. Den Spender freizugeben war ein Begriff, den man verwendete, wenn jemand auf seinen persönlichen Besitz verzichtete.
Alte Dhyraba'Katabe taten dies, um Erbstreitigkeiten noch vor ihrem Tod schlichten zu können, junge Dhyraba'Katabe nahmen an einem solchen Ritual nur teil, wenn sie entweder unheilbar krank waren oder sich aus der Gesellschaft in die Sümpfe zurückziehen wollten. Es war eine äußerst ungewöhnliche Entscheidung, die gerade im Hort für Aufsehen sorgen würde. „Wir müssen sie davon abhalten", sagte Postal. „Damit erregen sie nur die Aufmerksamkeit des Souveräns."
„Und wie willst du das machen? Willst du sie umbringen?" Maxxim sprach leise, aber Postal spürte die Worte trotzdem wie einen Stich.
Sein Mord war längst nicht vergessen, weder von den anderen noch von ihm selbst. Und der Konstukteur würde ihn noch länger nicht vergessen. „Nein, ich will sie nicht umbringen", antwortete er ebenso leise, „wir werden sie schon irgendwie zur Vernunft bringen."
Und zwar schnell, fügte er in Gedanken hinzu, bevor jemand Verdacht schöpft.
Es war eine stumme Prozession, die sich aus der Konstruktionshalle zum Hangar bewegte. Fast alle Ehrwürdigen Wissenschaftler des Hortes waren dabei. Sie gingen in Zweierreihen, die Spender auf ihren Köpfen wippten bei jedem Schritt auf und ab und verliehen ihren Bewegungen die Eleganz eines choreographierten Tanzes.
Die Kampfroboter, die sie begleiteten und im Hangar wie auch in der Montagehalle für eine lückenlose Überwachung sorgten, wirkten neben ihnen grob und plump.
Vor ihnen schwebte die erste von vier fertig gestellten Kapseln. Alle Augen waren auf ihre schwarze Hülle gerichtet, folgten ihr so, wie die Dhyraba'Katabe aus den alten Geschichten einst dem Licht aus dem Wasser gefolgt waren. Doch das war lange her, damals, als die Sümpfe noch von Göttern bewohnt wurden und die Inquisition der Vernunft nur eine dumpfe Ahnung in den Liedern der Propheten war. Sie hatten längst keine Propheten mehr und keine Lieder.
Wie konnten wir all das vergessen?, dachte Postal Evvy. Wir haben die Sterne erreicht, nur um den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Vor der Inquisition waren sie ein Volk gewesen, jetzt erfüllten sie nur noch eine Funktion in den Eroberungsplänen des Souveräns. Und diese Eroberungspläne gewannen durch die Fertigstellung der Kapseln neuen Schwung. Wenn das Experiment gelang, rückte die Kapitulation in weite Ferne und damit auch die Befreiung vom Souverän.
Postal fühlte sich seltsam, als er hinter dem Projekt herschritt, an dem er fast ein Leben lang gearbeitet hatte und dem er nun seinen Fehlschlag wünschte. Er befürchtete, die anderen könnten diesen Gedanken in seinem Gesicht lesen, also neigte er unsicher den Kopf.
Maxxim blieb neben ihm stehen, als sie den Hangar erreichten. „Dahinten sind sie", flüsterte er.
Postal sah aus den Augenwinkeln zu Jorvool und Bennan, die auf Antigravplattf ormen standen und bei der Einweisung der Kapsel halfen. Der Passagierbereich wurde separat transportiert. Außer Postal überwachten fünf andere Wissenschaftler seine Funktionstüchtigkeit. Es war unmöglich, in diesem Bereich etwas zu sabotieren.
Bennan schien seinen Blick zu bemerken, denn er sah kurz auf, bevor er sich mit verstärkter Konzentration seiner Arbeit widmete.
Er weiß, dass ich es weiß, dachte Postal, und dass ich nicht glücklich darüber bin. „Sie gehen uns aus dem Weg", sagte Maxxim. „Das kann ich ihnen nicht verdenken." Zum wiederholten Male fragte er sich, weshalb die anderen drei
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