21st Century Thrill - Mind Games
aufkriegte.
Für sie hatte Jon sogar die Sache mit dem Speed mit durchgezogen. Beim ersten Mal war er 48 Stunden lang wie eine Aufziehmaus rumgerast. Aber das hier war jetzt eine ganz andere Liga.
Vals graue Augen huschten über den Bildschirm.
„Ich komme in manche Rechner rein“, stellte sie richtig. „Ist keine große Kunst. Hier siehst du zum Beispiel, was unser Kumpel Kris auf der Platte hat.“
„Lass das!“ Jon richtete sich auf. Sie saßen nebeneinander auf der Couch im Arbeitszimmer seines Vaters. Der war für ein paar Tage nicht da, und Jon hatte sich von der sturmfreien Bude nach dem Landschulheim etwas anderes erhofft, als mit Val fremde Computer zu durchstreifen.
„Er ist extrem unvorsichtig!“, schimpfte Val. „Benutzt eine ungesicherte WLAN-Verbindung. Hängt im Netz, auch wenn er es gar nicht mehr braucht. Er trennt sein Notebook einfach nicht. Also, was meinst du: Hinterlassen wir eine kleine Warnung?“
Jon verdrehte die Augen. „Hör auf damit!“
„He, Mann!“ Val wandte den Kopf und sah Jon an.
Sie war fast einen halben Kopf größer als er. Verstohlen musterte er ihre langen Beine in den zerrissenen Jeans, die großen, schlanken Füße mit den schwarz lackierten Nägeln. Im Sommer lief Val barfuß herum. Oder in ausgetretenen Chucks. Er mochte ihr silbernes Nasenpiercing, das mit ihren Augen um die Wette funkelte. Val war allererste Sahne.
Von der Größe her würde sie allerdings besser zu Kris passen, überlegte Jon. Er hatte so eine Ahnung, dass seine Freundschaft mit Kris durch Val auf eine unangenehme Probe gestellt würde.
„Er hört ja nicht auf mich!“, beschwerte Val sich. „Ich habe ihm gepredigt und gepredigt, er soll doch bitte seinen Anschluss sichern, aber was tut der Knabe? Schreibt alle gut gemeinten Warnungen in den Wind.“ Sie schüttelte den Kopf und erinnerte Jon an seine Informatiklehrerin. Val war das Sternenkind in der Klasse, verhätschelt von allen Lehrern, weil sie überall vorndran war. Kris war auch gut. Jon musste sich ranhalten. In Deutsch war er spitze. Das war’s aber auch schon. Alles andere interessierte ihn sowieso nicht besonders.
„Ich schreibe ihm eine kleine Datei rein. Letzte Chance, lieber Kris!“ Eifrig klimperten Vals Finger auf der Tastatur. „Und dann lösche ich die eine oder andere Kleinigkeit. Nichts Wichtiges, aber vielleicht zwei, drei Einträge aus seinem Adressbuch.“
„Muss das sein?“
„Sieh es als erzieherische Maßnahme. Krieg ich noch ein Bier?“
Resigniert stand Jon auf und ging in die Küche. Val trank von Zeit zu Zeit Alkohol, auch härtere Sachen, und er machte mit. Nicht bis zum Koma natürlich. Aber genug, um zu testen, wie viel er vertrug. Kris weigerte sich. Er trank keinen Tropfen. Er nahm auch keine von den Pillen.
Val schien das egal zu sein. Dass er, Jon, so viel mit Val zusammen war, lag vermutlich daran, dass sie beide in Friedrichshain wohnten, während Kris auf der Susanna am Ende der Welt hockte. Jon fand diese Begründung nicht sonderlich ermutigend. Er nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Draußen war es längst dunkel. Zwei Typen stritten sich unten auf der Straße um einen Parkplatz. Jon knackte die Flaschen am Heizkörper und ging zurück ins Arbeitszimmer. Irgendwo im Hinterhaus keifte die alte Luzy aus dem dritten Stock herum. Die war verrückt, weissagte ständig irgendwelche Katastrophen. Die Nachbarn machten sich einen Spaß daraus, der Alten zuzusehen, wenn sie ihre Schreianfälle hatte, als glotzten sie eine Reality-Serie im Fernsehen. Big Brother direkt vor dem Fenster. Na ja, so ähnlich. Val saß im Schneidersitz auf dem Sofa und starrte fassungslos auf ihren Bildschirm.
„Was ist?“ Er hielt ihr ein Bier hin.
Sie fuhr den Arm aus, griff aber nicht zu. Er fing die Flasche gerade noch auf.
„Scheiße, Mann!“ Val schüttelte den Kopf, konnte die Augen immer noch nicht von ihrem Notebook lösen.
„Sag halt!“
„Da ist einer auf Kris’ Platte.“
„Was?“
„Bist du taub?“ Endlich löste Val den Blick und sah Jon an. „Verdammter Mist!“
Jon lugte auf den Bildschirm, aber die Zahlenkolonnen sagten ihm nichts.
Val riss ihm die Bierflasche aus der Hand, trank, stellte sie weg und hackte auf die Tasten ein.
„Und das Blöde: Wer auch immer das ist – er weiß, dass wir auch da sind.“
Kapitel 7
Kris richtete sein Bett und stellte die Leselampe auf. Kaum lag er unter der Decke, fiel ihm ein, dass er sein Notebook auf Deck liegen gelassen
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