22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Störung bleiben. Deine Genesung aber, Effendi, ist so weit vorgeschritten, daß ich nun unbedenklich zu dir von diesem Fest sprechen kann. Es gab einen Kampf zwischen dem Ustad und uns, der ein Kampf der Liebe war. Unser Herr wünschte nicht, daß dieses Fest gefeiert werde. Heut abend aber haben wir ihm die Erlaubnis durch unsere vereinten Bitten abgerungen. In zwei Wochen nämlich werden es fünfzig Jahre, daß er zum erstenmal in ein Zelt unseres Stammes trat, und die Dankbarkeit gebietet uns, diesen Tag feierlich zu begehen. Er hat sich bisher ablehnend verhalten; heut aber ließ er sich überzeugen, daß es ein Herzensbedürfnis für uns sei, und hat uns die Genehmigung erteilt – nicht seinet-, sondern unseretwegen, sagte er. Ihr seid zu dieser Zeit noch hier bei uns, ein Umstand, über den wir uns alle freuen – – –“
„Wird euch diese Freude nicht vielleicht von Hadschi Halef getrübt werden?“ fiel ich ein.
„Diese Frage war natürlich von dir zu erwarten. Ich möchte dir gern sagen, was ich denke, befürchte aber, daß du über mich lächeln wirst.“
„Dann bin ich beruhigt! Wenn es nichts Schlimmeres als nur ein Lächeln ist, was du von mir erwartest, mußt du in Beziehung auf ihn wohl gute Hoffnung hegen!“
„Ja, die habe ich. Mein Ausdruck ‚Lächeln‘ aber war anders gemeint. Ich bezog ihn nicht auf Halefs Genesung, sondern auf deine Gedanken. Ich habe als sein Arzt Ansichten, welche vielleicht sehr fern von den deinen liegen, das ist es, was ich meinte.“
„Du bist der Hekim (Arzt); ich aber bin der Laie. Wie könnte es mir beikommen, über dich zu lächeln!“
„Und doch! Denn was ich dir sage, wird nicht die Ansicht allein des Hekim sein. Ich habe es mit einem schwerkranken Menschen zu tun. Wer und was ist das Wesen im Menschen? In welcher Beziehung stehen seine Teile zueinander? Das muß ich wissen, wenn ich ihn richtig behandeln soll. Ich vermute aber, daß du über diese Fragen ganz anderer Meinung bist als ich.“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Keinesfalls aber werde ich für deine Gedanken nichts anderes als ein Lächeln haben. Ich bitte dich, sie auszusprechen!“
„So höre!“ Er sprach zwar diese beiden Worte, doch ließ er mich zunächst nichts weiter als nur sie hören. Er hatte sich an meinem Lager niedergesetzt, das Gesicht mir voll zugewendet. Jetzt hob er den Kopf und schaute in das stille, bescheidene Licht der Kerzen, welche in der Nische brannten. Es war, als ob er durch dieses Emporblicken ein ganz anderes Gesicht bekommen habe. Wie rein, wie edel erschienen mir die Linien desselben, die bei unserm ersten Zusammentreffen von häßlichem Schmutz bedeckt gewesen waren! Die Kerzen sandten ihm ihre Flämmchen als winzig kleine und doch fast strahlend helle Punkte in die schönen Augen. Das lange, graue Haar gab einen ganz eigenartigen, lebendig wallenden Rahmen zu diesem Bild. Da kam eine Erinnerung über mich. Ich sah mich im Atelier eines Freundes. Er arbeitete an einer Darstellung aus der Offenbarung Johannis. Ich sah die Studienblätter durch. Eines von ihnen fesselte mich ganz besonders. Unter einem eingefallenen, nach oben offenen Mauerbogen saß der Seher und schaute himmelan, nach einer Öffnung in den dunklen Wolken, aus welcher eine Fülle jenseitigen Lichtes auf ihn niederstrahlte. Darunter war zu lesen: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“ Das mit diesen Worten wunderbar harmonierende Gesicht des Inspirierten hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht; es war mir lange, lange geistig gegenwärtig geblieben, bis neue Regungen es in Vergessenheit hatten geraten lassen. Und nun sah ich es plötzlich wieder, in mir und auch außer mir. Denn die Züge des Peder glichen in diesem Augenblick fast ganz genau denen jener Studie, und es war gewiß nicht zu verwundern, daß sie auch dieselbe Wirkung auf mich hatten. Es ging etwas durch mein Inneres, was mich begreifen ließ, daß man unter den Trümmern des Veralteten sitzen könne, um den Blick empor zum Neuen, wirklich Wahren zu erheben.
Grad so, als ob dieser mein Gedanke für ihn laut und vernehmlich geworden sei, wandte sich jetzt der Peder mir wieder zu und sagte: „Es ist für dich wohl ein neues, was ich dir mitteilen werde. Ich bitte dich, mir meine Frage zu beantworten: Weißt du, was Geist ist?“
„Nein.“
„Weißt du, was Seele ist?“
„Nein.“
„Meinst du, daß
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