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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sonderbar! Er war weit mehr; er war entsetzlich! – – – Einmal bemerkte ich, daß du plötzlich und zufällig an mich dachtest. Da wurde ich dir sichtbar. Du sahst mich stehen und vergeblich die Hände ringen. – – – Da riefst du mir zu: ‚Sorge dich nicht um mich! Das alte Fleisch muß herunter! Das laß ich von den Maden mir besorgen! Weh tut es nicht! Du weißt es ja: der 'Hadschi' hat zu sterben; ich gebe ihn hier den Würmern, die seine Totengräber sind. Der 'Halef' aber bleibt. Dem können sie nichts tun, weil er nicht sterblich ist. So werde ich schon vor dem Tode frei vom Tode sein!‘ – – – So sagtest du, und die Feinde hörten es. Da wuchs ihr Grimm in das Maßlose. Sie veränderten nicht mehr einzeln oder zu zweien ihre menschliche Gestalt, sondern sie wurden jetzt plötzlich alle, alle fressende Maden und stürzten sich auf dich. – – – Ich schrie vor Angst, schrie wieder und immer wieder. Da – – – da berührte mich die erlösende Hand meiner Hanneh. Sie wischte mir den Schweiß von der kalten Stirn, und das war der Anlaß, daß ich erwachen durfte! – – –“
    Er hatte zuletzt immer schneller und schneller gesprochen und das, was er sagte, mit hastigen Armbewegungen begleitet. Das war für seine geschwächte Kraft zu viel gewesen. Er kroch in sich zusammen und brachte keinen Laut mehr hervor. Das machte Hanneh Sorge, doch beruhigte ich sie in leisem Ton:
    „Fürchte nichts. Hat er den Traum selbst überstanden, so wird ihm auch die Erzählung nichts schaden. Es ist keine Gefahr vorhanden, sondern nur gesteigerte Schwäche. Er wird einschlafen und dann gekräftigt wieder erwachen.“
    So geschah es auch. Schon nach wenigen Minuten hatte ihn der Schlummer uns entzogen. Wir wechselten noch einige Bemerkungen über das eigentümliche Vorkommnis, und dann verließ ich die Halle, um mich wieder hinaus auf meinen Platz zu begeben. Als ich hinauskam, stand die Sänfte dort, und bei ihr ‚unser Kind‘, welches mir sagte, daß ich jetzt, wenn es mir recht sei, hinüber nach dem Gotteshaus getragen werden solle. Ich war natürlich einverstanden. Tifl trug ein, wie es schien, ganz neues Feierkleid, und die Sänfte war reich mit Rosen und sonstigen Blumen geschmückt. Die ‚Festjungfrau‘ stand am Gartentore, und ihr Nicken und Knicksen sagte mir, wessen Hand diese freundliche Ausstattung besorgt hatte.
    Vor meiner Ankunft drüben auf der jenseitigen Höhe hatte ich vor allen Dingen zwei Eindrücke zu überwinden, den des Gesprächs mit dem Musiklehrer und den von Halefs Traum. Mit dem Traum war ich schnell fertig. Jeder Mensch trägt zwei Prinzipe in sich, ein gutes und ein böses. Wenn ich Feinde haben sollte, die es für ihre Aufgabe halten, das Böse in mir abzutöten und es sich zu ihrem eigenen Wohlbefinden einzuverleiben, so werde ich mich allerdings mit keinem einzigen Wort dagegen wehren. Ein Kampf zu dem Zweck, fehlerhaft zu bleiben, würde die allergrößte Torheit sein, die ich mir einst vorzuwerfen hätte. Der menschliche Körper ist, wenn er begraben wird, allerdings für die Würmer bestimmt. Aber die Seele, der Geist? Gibt es vielleicht auch geistige Maden, welche in den ethischen Fäulnisstoffen prassen, ohne die wir Sterbliche nicht mehr Menschen sondern Götter wären? Arme, arme Made, wie bist du zu bedauern! Welcher Ordnung der Lebewesen mag dein Organismus angehören, da er dazu bestimmt zu sein scheint, sich an moralischen Leichen vollzumästen! Ich hoffe zu deinem eigenen Heil, daß du nicht in Wirklichkeit, sondern nur in Halefs Traum vorhanden bist!
    Was den Chodj-y-Dschuna betrifft, so vermutete ich, in ihm eine Quelle gefunden zu haben, aus welcher mir neue, dem Abendland fremde Ansichten über Musik fließen könnten. Er hatte nur so kurze Zeit gesprochen, und doch besaß schon das wenige, was mir von ihm gegeben worden war, für mich eine Tiefe, in welche hinabzusteigen ein hoher und edler geistiger Genuß zu werden versprach. Dieser Mann hatte Gedanken und Anschauungen, die mir gewiß nur zur Bereicherung dienen konnten, und ich fühlte meine europäischen Wangen keineswegs bei dem Vorsatz schamrot werden, von diesem ungelehrten Kurden so viel wie möglich lernen zu wollen. Der Osten hat uns mehr, viel mehr geistige Schätze geliefert, als wir in unserm Stolz geneigt sind, zuzugeben. Es liegt für uns noch manches dort verborgen, wovon wir keine Ahnung haben, und der Chodj-y-Dschuna kam mir wie ein abseits vom großen Weg liegen

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