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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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spielen und ging unter allerlei drolligen, aber unendlich rührenden Kapriolen bald vorn, bald hinten in die Luft. Diese seine Bewegungen glichen den freudigen Sprüngen eines Hundes, der seinen lange entbehrten Herrn wieder vor sich sieht. Schakara ging hinaus, um einige Handvoll grüner Kischr (Schoten von Erbsen oder Bohnen) hereinzuholen, welche sie ihm auf meine Decke streute. Sie hatte also entdeckt, daß dies seine Lieblingsspeise sei. Aber er fraß sie nicht; er nahm nicht eine einzige davon, sondern er scharrte, wie dies vor dem Schlafen seine Weise war, mit den Vorderhufen den aus Steinfliesen bestehenden Boden und legte sich dann lang und eng an meinem Bett nieder, so daß ich seinen Kopf mit der linken Hand erreichen und dankbar streicheln konnte. Jede Kreatur will Liebe haben und gibt sie doppelt wieder, wenn sie sie empfängt! Von jetzt an hatte ich nicht mehr mit der Krankheit, sondern nur noch mit der allerdings außerordentlichen Schwäche zu kämpfen, welche ihre Folge war. Ich bekam kräftige, aber leicht verdauliche Nahrung. Der Ustad und der Peder kamen täglich wiederholt, um nach mir zu sehen, doch taten sie das nur, wenn sie wußten, daß ich schlief. Sie wollten vermeiden, mich durch das Sprechen mit ihnen anzustrengen, aber tausend Beweise stiller, liebevoller Aufmerksamkeit sagten mir, daß sie mit ihren Gedanken immer bei mir und Halef seien. Schakara war Tag und Nacht unausgesetzt im Raum. Sie verließ ihn nur dann, wenn kräftige Männerhilfe für uns nötig war.
    Und aber Halef? Der lag nun schon drei Wochen lang in tiefster Betäubung. Er atmete nur leise; der Schlag seines Herzens war kaum noch zu spüren. Ich ließ mich einmal zu ihm hintragen, um ihn anzusehen. Welch ein Anblick bot sich mir! Ich konnte die Tränen, welche aus meinen Augen brachen, nicht hinunterkämpfen. Man ist als Genesender ja überhaupt weicher als sonst gestimmt. Ich hatte ein Skelett vor mir, dessen Anblick durch die dunkle Petechialhautfarbe doppelt schmerzlich wirkte. Die Augenlider lagen konkav in ihren Höhlen; die Wangen hatten sich in Vertiefungen verwandelt, und weil der Hadschi sehr gesunde Zähne besaß, trat die untere Partie des Gesichtes wie bei einem Totenkopfe hervor. Genau so wie ihn hatte ich im Gizeh-Museum bei Kairo die Mumien von Ramses II, Thutmosis und anderer altägyptischer Herrscher vor mir liegen sehen. Dort die toten Zeugen einstigen Strebens, den Körper ewig jung zu erhalten, und hier der kaum noch atmende Beweis, daß der Leib, sobald die Seele sich von ihm zu lösen beginnt, der unerbittlichen Zersetzung anheimzufallen hat! Der Anblick tat mir weh; ich ließ mich nach meinem Lager zurücktragen. Dort kam mir der Gedanke, nach einem Spiegel zu fragen. Ja, es gab einen. Man brachte ihn mir, und ich schaute hinein. Du lieber Himmel, ich sah nicht viel besser als Halef aus. Es war gar kein Wunder, daß Assil mich nicht erkannt hatte. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich es sei, so wäre ich wohl kaum auf den Gedanken gekommen, in diesem dunkeln, hippokratischen Schemen mein eigenes Bild vor mir zu haben! Aber das besserte sich nun von Tag zu Tag. Ich genoß viel Milch, mein Lieblingsgetränk, und erhielt sehr reichlich ausgepreßten Saft von Hühnerfleisch. Bald konnte ich aufrecht sitzen, ohne gleich wieder umzufallen. Das Sprechen strengte mich nicht mehr an, und ich machte an mir die bei Genesenden sehr häufige Beobachtung, daß geistig ganz wertlos scheinende Kleinigkeiten mir ein ungewöhnliches, wenn auch fast kindliches Interesse abgewannen.
    Es war an einem dieser Tage. Die Sonne stieg dem Untergange zu. Da trug man Kissen hinaus ins Freie, und Schakara fragte mich, ob ich nicht einmal draußen sitzen möge. Der erste Ausflug, zwanzig Schritte weit bis vor die Säulen hin! Ich stimmte freudig ein. Zwei Männer hoben mich auf und brachten mich hinaus. Das war keine schwere Arbeit, denn ich war sehr leicht geworden. Nun sah ich zum erstenmal die Gegend, in welcher wir uns befanden. Sie mußte auch jedem, der nicht Rekonvaleszent war, als ein Paradies erscheinen.
    Von da, wo ich mich befand, führten zwölf Stufen auf eine weite, grasige Terrasse hinab, auf welcher Assil und Barkh spazieren gingen oder vielmehr spazieren sprangen. Sie war von Blumenbeeten und blühenden Rosenbäumchen eingefaßt. Mehrere hoch- und breitkronige Dilbiplatanen breiteten schützend ihre Wipfel über diesen freien Platz, von welchem ein gut unterhaltender Zickzackweg hinab zur Sohle des Tales

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