220 - Die Reise nach Taraganda
sprang.
»Raaaaaahhh…«
Rulfan vergaß jeden Gedanken an seine neue Beziehung. Sein Säbel, ein Geschenk Victorius’, gehörte zum Besten, was die Schmiedekunst der Gegenwart zu bieten hatte. So wie er geschliffen war und in der Hand lag, bedurfte es kaum einer Anstrengung, ein Lebewesen von seinem Haupt zu trennen.
Es gelang ihm jedoch nicht, die Katze zu köpfen, bevor sie Lay erreichte. Schon fegte sie durch die Luft auf die Frau zu – das Maul war weit aufgerissen, die fingerlangen Krallen glitzerten in der Sonne. Lay duckte sich und riss die Lanze hoch, mit der sie den Fisch hatte spießen wollen. Die Spitze durchbohrte die rechte Vorderpranke des Angreifers.
Schrilles Geheul. Der Speer brachte die Katze aus dem Gleichgewicht: Sie fiel ins Wasser und schlug panisch um sich. Der Spieß löste sich aus ihrer Tatze und versank.
Lay warf sich dem Ufer entgegen. Rulfan stürzte sich wie ein Tiefflieger auf die Katze, die sich nun wie ein Kreisel im Wasser drehte. Ihre Tatze verspritzte Blut, das in seine Augen klatschte. Während Rulfan sich mit einer Hand ins Nackenfall der Bestie krallte, um nicht abgeworfen und zerrissen zu werden, drosch er mit dem Säbel auf ihren Schädel ein.
Die Katze tauchte unter. Drehte sich. Ihre Muskeln traten hervor. Rulfan rutschte ab, ließ aber nicht los: Wenn er ausholen wollte, brauchte er Halt. Im glasklaren Wasser flog der Säbel wie in Zeitlupe auf das Maul der Katze zu. Es machte leise Ping, als der Klingenstahl gegen die Reißzähne schlug. Der vordere rechte Zahn brach ab, doch Rulfan genoss den Anblick nicht lange: Schon drehte das Biest sich erneut. Das Wasser schäumte auf. Rulfan verlor den Halt und fühlte sich hochgehoben. Ein Hinterlauf schlug in sein Kreuz; der noch in seiner Lunge vorhandene Sauerstoff entströmte ins Wasser.
Rulfans Kopf wurde über den Wasserspiegel gedrückt. Trotz der wild um sich schlagenden Raubkatze gönnte er sich eine Sekunde, um nach Lay Ausschau zuhalten.
Er sah sie nicht. Dies verschreckte ihn jedoch nur einen Atemzug lang, denn schon tauchte sie mit funkelnden Augen hinter der Katze auf und rammte ihr den zuvor verlorenen Spieß in den Hals. Der Lepaad schlug um sich, brüllte und ging unter. Als er wieder hoch kam, stand Rulfan fest auf den Beinen und hielt den Säbel mit beiden Händen hoch. Sein Hieb fiel so fest aus, dass die Klinge den Schädel vier Zentimeter tief spaltete und alles deaktivierte, was für das Leben an sich zuständig war.
Die Katze erschlaffte schlagartig. Schon griff die Strömung zu und zerrte an ihr. Rulfan hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben, doch er hielt seine Waffe fest, denn er wollte sie nicht verlieren. Lay kam ihm zu Hilfe. Gemeinsam rissen sie am Griff des Säbels, bis der Knochen die Klinge freigab. Der Kadaver trieb flussabwärts.
Rulfan keuchte. Er schaute Lay an. Sie keuchte nicht weniger laut. Ungestüme Wildheit war in ihrem Blick.
Rulfan merkte erst, dass ihr Blick pure Leidenschaft signalisierte, als sie sich mit einem Knurren an seinen Hals warf. Ihre schlanken Arme packten ihn mit eiserner Kraft. Schon war ihre Zunge in seinem Mund. Sie küsste ihn so ungestüm, dass sich alles an ihm versteifte, was dazu in der Lage war. »Du…!«, hauchte Lay, als sie kurz von ihm abließ. »Du gut gemacht!«
Lay riss den Säbel aus seiner Hand und warf ihn ins Ufergras. Rulfan fragte sich, was sie vorhatte, doch als sie plötzlich auf ihm lag und der Bach in seine Nasenlöcher drang, begriff er, dass Kinder des Dschungels ihre Dankbarkeit anders ausdrückten als Kinder der Zivilisation: Dort, wo man täglich dem Tod ins Auge schaute, fackelte man nicht lange. Man schritt sofort zur Tat, frei nach dem Motto »Ich hab dich zum Fressen gern«.
Es kostete Rulfan einige Mühe, aber irgendwie gelang es ihm doch, sich und die hübsche Frau aus dem Wasser zu ziehen und aufs Ufergras zu wuchten. Dort schaffte er es auch, sich aus seinen Kleidern zu pellen, bevor sie unter den Händen seiner Gefährtin in Fetzen gingen. Die wenigen Überlebenden der Ameisenheere, die er und Lay in grenzenloser Leidenschaft auf dem Urwaldboden niederwalzten, erzählten ihren Nachfahren noch Generationen später von der legendären Paarung der beiden Riesen, die die Hauptstadt ihres Imperiums vernichtet hatten.
»Du«, sagte Lay, als die Welt aufhörte, sich um Rulfan zu drehen. »Du, auch das gut gemacht!« Sie saß mit gespreizten Beinen auf seinem Brustkorb und tätschelte seine Wange. Rulfan errötete. Lay
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