2220 - Tote leben länger
beinahe bedächtig glitten seine Finger über die Sensorflächen; die Abschirmungen wurden hochgefahren. Auch hier alles in Ordnung.
Und trotzdem ... Daellian spürte ein wachsendes Unbehagen. Vielleicht war es gerade die banale Ereignislosigkeit der letzten Tage, dieses perfekte Ineinandergreifen aller Rädchen, was ihn argwöhnisch machte. „Sir! Sie werden inzwischen dringend in der Halle erwartet! Myles Kantor will Sie sehen!"
Er nickte knapp, eine Regung, die so überflüssig geworden war wie vieles, optisch sogar wirkte, als kippe der Sarkophag, um den vor ihm Stehenden zu erschlagen. Die alten Reflexe erschreckten ihn, weil sie immer wieder seine Wunden aufbrechen und ihn sich und anderen noch fremder machen ließen, als er es ohnehin schon war. Sein Gehirn - nicht sein Gehirn, sondern er selbst - hatte sich noch lange nicht an den Verlust des Körpers gewöhnt. Ohne Körper war er ein lebender Toter, der nach Erfolgen strebte, nur um sich selbst zu beweisen.
Erinnerungsfetzen stiegen vor ihm auf, die er längst hasste, die ihn bislang nur im Schlaf gequält hatten. Keinesfalls durften sie ihn jetzt überfallen. Reaktoralarm,... Explosionen... sengende Hitze... sein qualvolles Sterben ... „Mr. Daellian, Sir - Sie werden erwartet!"
Ja, natürlich, er war lange überfällig. Niemand in der Halle wusste, dass er sich noch im Kontrollraum aufhielt.
Zögernd setzte er sich in Bewegung, der Medotank löste sich vom Boden. Ein letzter Kontrollblick über die vielfältigen Skalen ... ... und im gleichen Augenblick erkannte er es, das, was ihn unruhig gemacht hatte, es lag jetzt offen vor ihm.
Schmerzhafter als alles zuvor. Ein im System integrierter Fehler. In dem Moment erkannte Daellian, dass die Halle in einem Glutorkan vergehen würde, sobald die Versuchsanordnung eingeschaltet wurde. Und wahrscheinlich nicht nur die Halle, sondern die halbe Akademie. Nein.
Kein Fehler.
Ein Fehler war etwas, das aus Versehen oder aus Unachtsamkeit oder Unkenntnis geschah.
Das hier ging über selbst die verrückteste Verkettung von Zufällen und Fehlern hinaus. Es war unzweifelhaft Sabotage.
Es war eine der raffiniertesten Programmstrukturen, die Daellian je gesehen hatte. Wer immer das geschafft hatte, er war in diesem Moment entweder viele Kilometer weit entfernt, oder das eigene Ende bedeutete ihm nichts, wenn er zugleich die Elite der LFT mit in den Tod reißen konnte. Es war keineswegs ein nur auf ihn selbst gezieltes Attentat, darüber ging es weit hinaus. Doch ... warum?
Daellian schob die Suche nach Gründen in den Hintergrund und reagierte mit jener Präzision, die ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen war. Er löste Vollalarm aus - und registrierte im selben Sekundenbruchteil, dass alle nach außen führenden Kommunikationskanäle taub waren.
Der Attentäter hatte den Kontrollraum schalttechnisch isoliert, und das wiederum musste von der Halle aus geschehen sein. Die Bildübertragung stand noch. Sie zeigte Shebenyers zufriedenes Lächeln. Er redete mit einem der Physiker, die in den letzten Tagen unermüdlich gewesen waren. Die beiden benötigten nur mehr Sekunden für die Aktivierung des gesamten Aufbaus. Niemand, der nicht wusste, was geschah, konnte sie jetzt noch daran hindern.
Nach dem ersten Attentat hatte Daellian die Vorrichtung für einen Individualschutzschirm in den Medotank einbauen lassen. Er brauchte die Leistungswerte nicht abzugleichen, um zu erkennen, dass der Schutzschirm nicht standhalten würde.
Glut brodelt durch einen engen Korridor. Ein Stahlsplitter zerschmettert seinen Arm und nagelt ihn fest. Malcolm Scott Daellian brüllt sich die Seele aus dem Leib.
Daellian handelte. „Ich frage mich, warum Malcolm uns warten lässt", raunte Myles Kantor seinem Begleiter zu. „Wie ich ihn einschätze, ist er ein komplizierter Mensch", gab Julian Tifflor ebenso leise zurück. Er zögerte, nahm dann aber doch ein Glas von dem venusischen Sekt, den der Schweberoboter ihm anbot.
Auch Kantor griff zu. Er nippte kurz. „Malcolm wurde zu dem gemacht, was er heute ist", stellte er fest. „Vielleicht hat er an sein Leben unerfüllbare Anforderungen gestellt..."
„Hat er nicht sehr viel erreicht? In überaus kurzer Zeit?"
„...an sein Leben als Mensch", fügte Myles Kantor nachdenklich hinzu. „Wir werden hören, was er zu sagen hat." Erneut hob er das Glas an den Mund - und verschüttete den Inhalt.
Ein Dröhnen schwoll an, dann ertönte ein Krachen, Bersten und Splittern. Das
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