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223 - Die Sünden des Sohnes

223 - Die Sünden des Sohnes

Titel: 223 - Die Sünden des Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Federbüschen auf den Köpfen ihn gehört.
    Die Nacht brach an, in der Stadt schrie jetzt eine Frau.
    Rulfan hing in den Dornen fest wie ein Insekt im Spinnennetz. Über sich auf der Wallkrone hörte er Stimmen. Er durfte sich nicht bewegen, denn sich zu bewegen hieße, das Laub um sich herum zum Rascheln zu bringen.
    Schließlich verstummten die Stimmen oben auf dem Wall. Die Schreie der Frau wurden leiser. Nach und nach löste Rulfan den ganzen rechten Arm aus dem Dornengestrüpp. So gelang es ihm, hinter sich zu fassen: Sein Säbel hing ihm noch über der Schulter. Beruhigend irgendwie. Er versuchte die Hand durch die Dornen hindurch zu seinem Gürtel zu schieben. Als sein Zeigefinger den Griff seines Dolches berührte, merkte er, dass die Frau in der Stadt nicht mehr schrie. Was auch immer man ihr angetan hatte, er wünschte sich, denjenigen in die Finger zu bekommen, der sie gequält hatte.
    Doch dazu musste er sich erst einmal aus den Dornen befreien. Das konnte dauern, Rulfan zog den Dolch und begann die stacheligen Ranken zu zerschneiden. Als am Morgen die Sonne aufging, konnte er endlich auch den linken Arm bewegen und den Kopf drehen, ohne ein Rascheln zu verursachen. Oben auf dem Wall jedoch hörte er wieder Stimmen. Er beschloss, erst einmal ein paar Stunden zu schlafen.
    ***
    Etwas war plötzlich anders, ganz anders. Aruula wusste nicht, was geschah, sie wusste nur, dass Nefertari sich verändert hatte, und dass der Kerl mit dem toten Auge schuld daran war.
    Sie wagte sich aus dem Kokon ihrer mentalen Barrikade. Intensiv nahm sie teil an Nefertaris Blick in das tote Auge des Kerls… aber da war nichts. Nichts jedenfalls, das Aruula den tranceartigen Zustand Nefertaris erklärt hätte.
    Die Leute, die um ihren Körper herum hockten oder knieten – in der Mehrzahl schwarze, elegant gekleidete Frauen – tuschelten miteinander oder redeten in einer seltsam melodiösen Sprache auf sie ein – schienen nichts von dem zu bemerken, was Aruula wahrnahm.
    Was ist los mit dir?, raunte sie in Nefertaris Bewusstsein hinein. Weich und nachgiebig fühlte sich deren Geist plötzlich an. Wo war sie auf einmal, die schroffe, herrische Königin vom Nil? Was ist passiert?
    Es tut mir so leid, es tut mir alles so leid, kam es zurück. Sei mir nicht böse, Erhabener, verzeih mir, ich wusste ja nicht… ich hätte mir ja nie träumen lassen…
    Aruula begriff nur so viel: dass die Andere nicht sie meinte mit ihrem Gefühlsausbruch. Warum aber entschuldigte sie sich bei dem Einäugigen? Und überhaupt – was für einen seltsamen Ton schlug sie gegenüber diesem Kerl an? Wie ein kleines Mädchen kam sie ihr vor, nicht wie die Königin, die sie bislang immer herausgekehrt hatte.
    Was ist los mit dir? In Gedanken schrie sie Nefertari an. Bist du übergeschnappt? Aruula bekam es mit der Angst zu tun. Komm zur Vernunft! Du bist verantwortlich für meinen Körper…
    »Ich bin E’fah«, lallte die andere, und wieder war Aruula sofort klar, dass nicht sie die Adressatin ihrer Worte war. »Das war mein Name unter den Hydriten. Zuletzt herrschte ich als Königin Nefertari über Ägypten, falls dir das etwas sagt, Erhabener…«
    Dann stieß sie Knack- und Zischlaute aus, doch Aruula verstand sie dennoch, denn der Zugang zu ihrem Geist war plötzlich weit geöffnet. Die Frauen und die wenigen Männer um sie herum aber verstanden nicht ein Wort, das sah man ihren Gesichtern an. Sie runzelten nur verwundert die Stirn wegen Nefertaris eigenartiger Sprache.
    »Jetzt habe ich den Körper einer Barbarin namens Aruula in Besitz genommen«, zischte und knackte Nefertari. »Eigentlich wollte ich ans Meer, um zurückzukehren nach Gilam’esh’gad…«
    Völlig widerstandslos war Nefertari in diesen Minuten, ganz und gar schwach. Aruula sah ihre Chance. Sie konzentrierte sich und sammelte ihre Kräfte.
    »Ich habe nicht gelebt, wie ich sollte, Erhabener«, fuhr Nefertari fort zu schwadronieren. Natürlich war sie verrückt geworden, was denn sonst? »Ich habe deine Lehren vernachlässigt, mein Tun und Lassen hat deine überlieferten Worte gar mit Füßen getreten, hoch verehrter Weltenwanderer. Wie hätte ich denn wissen können, dass du hier unter uns…« Tränen erstickten ihre Stimme.
    Nun fing sie auch noch an zu weinen! Aruula war fassungslos. Nefertaris Unterlippe bebte, ihre Nervenkraft schien am Ende zu sein. Jetzt oder nie, dachte Aruula und wollte sich in den Geist der Anderen stürzen. Doch plötzlich fing auch der einäugige Kerl

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