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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Brandstetter. »Aber das Feuer ist durch das feuchte Wetter von alleine ausgegangen.«
    »Wenn das so ist, willst du nicht die Gendarmerie verständigen? Willst du nicht schnell runter nach Persenbeug gehen oder zum Böcksteiner, der hat ja Telefonanschluss?«, lässt seine Frau nicht locker.
    »Ich geh da jetzt nicht raus!«, schreit ihr Mann entsetzt und es klingt, als stünde der Teufel höchstpersönlich vor ihm, um ihn zu holen.
    »Nur gut, dass die Kinder nicht wachgeworden sind«, meint Marie Brandstetter leise.
    »Gott sei Dank, die haben einen guten Schlaf!«, seufzt ihr Mann.
    Er legt sich neben seine Frau in das Bett, hüllt sich sorgfältig in die Tuchent ein und spürt wieder den Geschmack von Blut im Mund. Herrgott, denkt er, Herrgott noch einmal.
    »Was wird bloß sein, Karl?«, fragt seine Frau voller Angst.
    »Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, damit uns nichts geschieht!«, sagt Karl Brandstetter. »Aber dafür musst du jetzt wieder einschlafen! Schlaf, Marie!«
    Die Hölle kann warten, denkt er. Er schließt die Augen, weiß aber in diesem Moment gleich, dass er nicht einschlafen wird können. Vielleicht, denkt er, wird er nie wieder einschlafen können. Wenn ich mich jetzt anziehe, so wie Marie das will, und nach Persenbeug auf den Gendarmerieposten gehe, überlegt er, bin ich ein toter Mann. Was Karl Brandstetter gesehen hat und was er nicht gesehen hat, denkt er trotzig, entscheide immer noch ich. Das gibt ihm einen gewissen Trost in dieser Nacht, die kein Ende nehmen will, die länger dauert, so kommt es ihm jedenfalls vor, als sein ganzes bisheriges Leben.
    Es sind seltsame, stetig wiederkehrende Geräusche, wie wenn jemand immer wieder an eine Tür im Haus Hofamt Priel Nr. 78 klopfen würde, die das Ehepaar Neulinger in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945 aus dem Schlaf schrecken lassen. »Einbrecher, kein Mucks«, flüstert Johann Neulinger seiner Frau zu und versucht, möglichst geräuschlos aus dem Bett aufzustehen. Rasch schlüpft der 44-jährige Wagnermeister und Bauer in Hose und Hemd und greift zu seiner geladenen, doppelläufigen Jagdflinte, die nicht weit von seinem Bett an einen Sessel gelehnt steht. Da die Klopfgeräusche noch immer andauern, vermeidet er es, Licht zu machen. In diesen unruhigen Zeiten, denkt er, in der viel fremdes Volk – Juden, Ukrainer, ungarische, kroatische Flüchtlinge und allerhand Beutegermanen, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, aber auch Wehrmacht und Waffen-SS – in und um Hofamt Priel untergebracht ist, muss man immer mit einem Einbruch rechnen und Haus und Hof gegebenenfalls auch mit der Waffe in der Hand verteidigen.
    »Beim Brandstetter ist Licht! Dort wird geschossen!«, flüstert Maria Neulinger erschrocken. Sie ist ebenfalls aufgestanden und starrt nun konzentriert aus dem einzigen, winzigen Schlafzimmerfenster. Das langgestreckte Holzhäuschen von Karl Brandstetter liegt ungefähr 200 Meter vom Bauernhof der Neulingers entfernt.
    »Partisanen beim Brandstetter!« Die Stimme von Johann Neulinger ist heiser vor Aufregung. Er packt die Schrotflinte fester und ist schon aus dem Zimmer. Jetzt, wo die Ordnung zerfällt, denkt er grimmig, machen die Fremden, die »Zuagrasten«, die Untermenschen ernst – da muss man dagegenhalten! Im Vorhaus erkennt er zweifelsfrei auch die Ursache der Klopfgeräusche, die ihn und seine Frau geweckt haben: Es ist der Schall von Schüssen. Johann Neulinger ist ein kräftiger, energischer Mann, aber jetzt ist ihm doch etwas mulmig, ja angstig zumute. Aber zurück kann er jetzt wohl nicht mehr, ohne völlig das Gesicht vor seiner Frau zu verlieren und vor allem vor sich selbst. So ein gottverdammter Mist, denkt er und ist schon aus der Tür in die feuchte, windige Dunkelheit gesprungen. Da bin ich wegen der Landwirtschaft UK gestellt, und dann stürze ich mich freiwillig ins Gefecht, in eine nächtliche Schießerei, noch dazu bei dem Sauwetter. Auf der anderen Seite beruhigt ihn das Feuer aus Maschinenpistolen auch wieder irgendwie, denn solche automatischen Schusswaffen, überlegt er weiter, haben doch wohl nur die eigenen Soldaten, sicherlich nicht die Partisanen, bei denen es sich nur um entsprungene Kriegsgefangene handeln kann.
    Auch in stockdunkler Nacht kennt Johann Neulinger das Gelände natürlich wie seine Westentasche. In samtschwarzer Dunkelheit läuft er auf die Lichtkegel beim Haus seines Nachbarn zu. Am Gartenzaun des Brandstetterschen Anwesens bleibt er keuchend stehen und bringt die

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