223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Frauen und Mädchen, darunter auch die noch lebende Regina Varga, angezündet haben, sind sie auch schon wieder beim Lager am Donaustrand und treiben mit äußerster Brutalität die noch verbliebenen Kinder und alten Leute, sofern sie sich noch irgendwie vom Fleck rühren können, aus den Baracken. Im Lager der volksdeutschen Umsiedler ist man inzwischen auf den Mordslärm aufmerksam geworden. Es gibt Zaungäste, faszinierte Kiebitze, die mit stillschweigender Genugtuung registrieren, wie mit ihren ungeliebten Nachbarn umgesprungen wird.
Auf dem Weg den Priel hinauf, vorbei an den Rotten Lanhof und Zotterhof, sind die Kinder an diesem 3. Mai 1945 allerdings eine Aufgabe. Es ist schon 2 Uhr in der Früh, manche von ihnen scheinen im Gehen zu schlafen, andere wieder sind unruhig, quengeln und schreien, und nur die Anwesenheit ihre Großmütter oder anderer Verwandter verhindert es, dass die nervösen SS-ler schon kurz nach dem Lager in die Kinder schießen, was den im Schritttempo vorausfahrenden Opel und seine beiden Insassen, den Kameraden und den lokalen Zivilisten, gefährden würde. Der Kommandant des SS-Rollkommandos macht sich jedenfalls ernsthafte Sorgen um die Psyche seiner Männer, aber die Juden-Gschrappen, meint er schließlich bei sich, sehen so verhungert und verdreckt und verlaust aus, dass seine Männer im Kampf Mensch gegen Untermensch wohl nicht schwach werden. Bei all unseren Aufgaben, denkt der Gruppenführer, ist das Schwerste die Sache mit den Kindern. Zum Glück hat sich der Reichsführer-SS schon vor geraumer Zeit entschlossen, auch hier eine klare Lösung, eine eindeutige Haltung vorzugeben. Nur zu gut erinnert sich der Kommandant an die Rede Himmlers in Posen, damals in besseren Zeiten. Wenn der Reichsführer, denkt der Gruppenführer, sich seinen eigenen Worten zufolge nicht für berechtigt hält, die Männer umzubringen und die Rächer in Gestalt der Kinder groß werden zu lassen, dann sind wir es auch nicht und damit basta!
Leider bieten die Kinder dann zirka 400 Meter östlich des Brandstetterschen Hauses kein allzu gutes Ziel, auch weil der ausgesuchte Graben im Gegensatz zu den beiden anderen Exekutionsorten, nicht allzu tief ist und man nicht vom Grabenrand herab feuern kann, ohne Kameraden zu gefährden. Der Kommandant denkt an den unerwartet hohen, nicht ganz einkalkulierten Munitionsverbrauch und auch an seine Männer. Es ist schließlich kein Honigschlecken – auch für echte deutsche Männer rein arischer Abstammung nicht –, flennenden, verschreckten Kindern aus der Nähe in den Bauch oder in den Kopf zu schießen, auch wenn es nur Judenbrut ist. Aber wir haben das moralische Recht, denkt der Gruppenführer, dieses Volk, das uns umbringen wollte, von der Erde verschwinden zu lassen. Daran ändert auch der im Moment ungünstige Kriegsverlauf nichts. In diesem Sinne waren meine Männer zu instruieren, und ich glaube, das ist mir wieder einmal gar nicht so schlecht gelungen, denkt der Kommandant befriedigt.
Es gibt schwierige deutsche Wörter, die der 11-jährige Tibor Yaakow Schwartz aus Puspokladany bei Debrecen trotzdem ganz gut versteht. »Ausgangssperre« zum Beispiel, auch »Arbeitseinsatz« ist so ein Wort. In seiner elenden, dunklen und gefährlichen Welt ist es nachgerade normal, dass man es dann und wann mit brüllenden und prügelnden SS-Männern zu tun bekommt, die solche Wörter im aggressiven Befehlston äußern. Für den Buben ist es daher nichts Außergewöhnliches, als am Abend des 2. Mai 1945 ein kleiner Trupp von hektischen und herrischen SS-lern im so genannten Judenauffanglager westlich des Schlosses Persenbeug in Hofamt Priel auftaucht, zunächst eine totale Ausgangssperre verhängt und dann einen sofortigen nächtlichen Arbeitseinsatz ankündigt. »Arbeitsfähige heraus! Antreten!«, heißt es immer wieder, es sind gebrüllte Befehle, denen sich niemand im Lager zu widersetzen wagt. Die Insassen haben schon längst gelernt, wie Sklaven zu parieren, selbst bei den gemeinsten, schrecklichsten und absurdesten Anordnungen. Die Deutschen fuchteln mit maschingeschriebenen Listen und durchgeladenen, entsicherten Pistolen herum, jeder Widerstand gegen die Bürokratie der Versklavung und ihre willigen, ja eifrigen Vollstrecker scheint sinnlos. Bald, das heißt in wenigen Stunden, sind die 3 Baracken des Lagers leer bis auf einige wenige Kleinkinder und ein paar steinalte Frauen, die allesamt nicht arbeits- und marschfähig sind. Auch Tibor Yaakow Schwartz, dessen
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