223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Füllfeder und Protokoll hinzuhalten.
Das Leichtere ist geschafft, denkt er.
Der Landrat des Landkreises Melk, Oberregierungsrat Dr. Leopold Convall, ist nicht nur ein hoher Beamter des Gaues Niederdonau, sondern auch so etwas wie ein politischer Überlebenskünstler. Der aus Wien gebürtige Verwaltungsjurist wurde kurz vor dem so genannten Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland zum Melker Bezirkshauptmann ernannt, nachdem er zuvor bei der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt tätig gewesen war. Nach dem Finis Austriae bemühte sich Convall erfolgreich, sich mit den neuen Herren zu arrangieren. Er stellte einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, wurde auch rasch Parteigenosse und behielt so erstaunlicherweise seine hohe Position als Bezirkshauptmann, wenn auch die Amtsbezeichnung nach reichsdeutschem Muster in Landrat geändert wurde. Den Posten hatte er vor allem der Fürsprache des Melker NSDAP-Kreisleiters Heinrich Reindl zu verdanken, der sich bei seinen Wiener Neustädter Parteigenossen eingehend erkundigt hatte, wie sich Convall in der Zeit des Ständestaates als dortiger Bezirkshauptmann gegenüber der verbotenen Nazipartei verhalten hatte, die er ja von Amts wegen eigentlich zu bekämpfen gehabt hätte. Offenbar war die Antwort günstig für den Karrierejuristen ausgefallen.
Bei den Nazis stand Dr. Convall bald in dem Ruf, ein tüchtiger Spitzenbeamter zu sein, der den Primat der nationalsozialistischen Politik und Weltanschauung widerspruchslos anerkannte und sie in der Verwaltung reibungslos umsetzte. Insbesondere beim Gauleiter von Niederdonau, dem früheren St. Pöltner Lungenfacharzt Dr. Hugo Jury, war er gut angeschrieben. Neben dem Landkreis Melk wurden ihm als Landrat daher bald auch die Landkreise St. Pölten und Lilienfeld übertragen. 1942 dürfte er sogar für den Posten eines Regierungspräsidenten im Gespräch gewesen sein.
Als Revierinspektor Franz Winkler dem 53-jährigen Landrat Dr. Convall, seinem mittelbaren Vorgesetzten, an diesem Vormittag des 3. Mai 1945 telefonisch Meldung erstattet und ihn vom Massaker in Hofamt Priel in Kenntnis setzt, ist der völlig überrascht und wirklich entsetzt. Letzteres nicht aus Mitleid, denn ein solches eher volkstümliches Gefühl steht einem Spitzenbeamten nicht an, sondern weil er ehrlichen Herzens fürchtet, für ein derart monströses Verbrechen in seinem Landkreis von den Russen, deren Einmarsch nur mehr eine Frage von Tagen ist, mitverantwortlich gemacht zu werden. Dr. Convall hat keine Lust, für Verbrechen, die er nicht begangen, nicht einmal angeordnet hat, am Galgen zu landen. Immerhin hat er in seinem Landkreis schon das KZ Melk am Hals und die Ermordung der Insassen der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt Ybbs an der Donau im Vernichtungslager Schloss Hartheim. Der Landrat ist jetzt, in den letzten Kriegswochen, jedenfalls fest dazu entschlossen, auch ein paar Gutpunkte zu sammeln, um das Ende des Krieges möglichst lange zu überleben. Teil dieser neuen Strategie im Amt dürfte bereits die Errichtung des so genannten Judenauffanglagers Persenbeug am 25. April 1945 gewesen sein, die der Landrat über den ihm unterstellten Gendarmeriekreis Melk befohlen oder zumindest nicht verhindert hatte.
Fasziniert hört der Landrat nun zu, wie der Gendarm aus Persenbeug, den er noch nie gesehen oder gesprochen hat, von den 6 Überlebenden des Massakers berichtet. Was er denn mit diesen Leuten machen solle, fragt Revierinspektor Winkler, wo doch eine Rückkehr der Täter, des SS-Rollkommandos, nach Persenbeug zu befürchten sei, wenn bekannt wird, dass es Überlebende gibt, was sich wohl nicht vermeiden lässt. Wenn dem Mordtrupp irgendetwas gegen den Strich gehe, dann seien das ja sicherlich unmittelbare Tatzeugen, führt der Revierinspektor weiter aus. Bewusst verschweigt Winkler seinem hohen Vorgesetzten, dass es mit der Tatzeugenschaft der 6 armen Leutchen nicht weit her ist. Eigentlich ist nur Regina Varga eine echte Augenzeugin des Massenmordes, und gerade ihr Zustand ist bestenfalls als kritisch zu bezeichnen.
Der Landrat hat plötzlich eine Idee und ist ganz beschwingt in Anbetracht dieser wohl einmaligen Gelegenheit, noch in letzter Minute den Hals aus der Schlinge ziehen zu können.
»Warten Sie mal, Winkler, ich hab’ da so eine Idee«, spricht Oberregierungsrat Convall leichthin in die Muschel des schwarzen Bakelit-Telefons.
Submissest hält der Revierinspektor den Atem an und wartet.
»Wie Sie vielleicht wissen, bin ich auch
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