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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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trägt, zu schießen. Er weiß nur, dass die Parole, die jeder kennen muss, der den Persenbeuger Gendarmerieposten betreten will, »Sukkurs« lautet. Sie wurde von Revierinspektor Winkler ausgegeben, und der Korporal kann sich keinen Reim darauf machen. Außerdem fragt er sich, wo bloß der Postenkommandant Gendarmeriemeister Duchkowitsch abgeblieben ist. Mit Schaudern erinnert sich Soukop an die beiläufig hingeworfenen Worte von dessen Stellvertreter, nachdem dieser ihn persönlich vor dem Posten als Wache eingeteilt hat: »In einem, Soukop, stimme ich ja mit den Nazis völlig überein: Auf Desertion steht gerechtfertigterweise der Tod und nichts als der Tod.« Korporal Soukop wusste darauf nichts Besseres zu tun, als vor dem Revierinspektor mehr oder weniger automatisch die Hacken zusammenzuschlagen und ihm wie beim Kompanieexerzieren in der Gendarmerieschule das Gewehr zu präsentieren. Damit, das muss er sich eingestehen, hat letztlich nun auch er die Autorität Winklers submissest anerkannt.

Kaum 2 Zeilen zu den Personalien der schwer Verwundeten hat Revierinspektor Winkler auf der Basis seiner Notizen bis jetzt in die Schreibmaschine getippt
: Regina Varga, geb. Pick, Hausfrau, 20. 8. 1891 in Zsolnok, Ung. geb. und dort wohnhaft gewesen, ung. Staatsbürgerin, deportiert
.
    2 seiner Untergebenen haben Regina Varga samt ihrem Hocker in das Zimmer des stellvertretenden Postenkommandanten tragen müssen. Die marode Frau hatte es nicht mehr geschafft, allein aufzustehen und die paar Schritte in Winklers Büro zu gehen.
    Zuvor hat Korporal Landler einen Teller mit 2 Stück eines harten, flachen Nusskuchens mit einer Eiklar-Glasur gebracht, den er irgendwo im Ort aufgetrieben hatte. Regina Varga war nicht fähig, auch nur einen einzigen Bissen zu machen, obwohl Landler alles versuchte. Stattdessen hat Winkler ein Stück, das deutlich kleinere, verzehrt, ohne sich danach besser zu fühlen.
    Wenn die mir nur jetzt nicht wegstirbt, hat der Vernehmende gedacht, nachdem er begonnen hatte, die Augenzeugin nach ihren Personalien zu fragen. Regina Varga hat nur mühsam geantwortet, sehr langsam, stockend, keuchend und immer wieder nach Luft ringend. Nun verzichtet der Revierinspektor darauf, sie noch einmal nach dem Tathergang zu befragen, da sie ihm den ja schon im Lager geschildert hat. Konzentriert tippt er das Folgende in die Maschine:
Am 2. 5. 1945 kamen 4 SS Soldaten in die Baracke und forderten die Männer auf, herunterzukommen. Nachträglich kamen sie nochmals und forderten auch die Frauen und Kinder auf, herunterzukommen. Sie sagten, sie schreiben nur die Namen auf und werden morgen den 3. 5. 1945 zur Arbeit eingesetzt
.
    Prüfend liest der Revierinspektor das bisher Getippte auf dem eingespannten Blatt und ist alles andere als glücklich mit den verwendeten Formulierungen, mit dem Stil insgesamt. Eigentlich, denkt Winkler, haut an der Sachverhaltsdarstellung bisher nur die Rechtschreibung halbwegs hin. Er ist unzufrieden mit sich selbst, aber er weiß auch, dass er in dieser Lage nichts Besseres leisten kann und leisten wird. Und ein Goethe ist er sowieso nie gewesen in seinen dienstlichen Berichten. Das war und ist auch nicht nötig, tröstet er sich in Gedanken.
    Nervös tippt er weiter:
Von den Baracken wurden wir gemeinsam weggeführt und waren dann 8 – 10 SS Männer als Begleitung. 2 Personenauto fuhren hinten nach. Außerhalb unserer Unterkunft wurden wir mit Maschinenpistolen, Pistolen und Gewehren erschossen. Ich stellte mich tot, fiel unter den Haufen und kam so mit dem Leben davon. Ich habe auch gesehen, wie 4 SS Männer die Toten mit Benzin überschütteten und dann anzündeten
.
    Nun ist nur mehr die formelle Schlussformel zu ergänzen:
Vorstehendes wurde mir vorgelesen und habe es für richtig befunden
. Links darunter schreibt der Revierinspektor:
Geschlossen:
und wieder darunter:
Meister d. Gd
., wobei er 2 Zeilen für die eigene Unterschrift freilässt. Winkler ist zwar keineswegs Meister der Gendarmerie, sondern nur Revierinspektor, aber unter so einem Protokoll, denkt er, sollte der Dienstgrad stehen, der einem Postenkommandanten zusteht.
    Unten rechts auf das Blatt tippt der Gendarm noch ein paar Buchstaben:
V.g.u.u.:
, was so viel bedeutet wie »Vorgelesen und unterschrieben«, dann zieht er das Blatt samt Durchschlag vorsichtig aus der Maschine. Laut, konzentriert und langsam beginnt er vorzulesen – bis zum letzten Doppelpunkt. Regina Varga nickt, und der Revierinspektor beeilt sich, ihr

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