223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes hier im Landkreis. Ich schicke Ihnen einen DRK-Wagen nach Persenbeug, um die Überlebenden nach Melk zu bringen.«
»Nach Melk?«, fragt Winkler, und es klingt, als fordere er Auskunft, ja geradezu Rechenschaft darüber, was genau der Landrat mit den Überlebenden anzustellen gedenke.
»Wenn Sie es schon so genau wissen wollen, dann muss ich Ihnen zunächst das ehrenwörtliche Versprechen abnehmen, darüber Stillschweigen, strengstes Stillschweigen zu bewahren!«, meint Dr. Convall etwas genervt.
»Jawohl, Herr Landrat«, antwortet der Revierinspektor.
»Ich lasse Ihre Juden in der Infektionsabteilung des Melker Krankenhauses verstecken. Auf den dortigen Primar Dr. Sedlacek kann ich mich verlassen. Außerdem könnte ich eventuell noch einen oder zwei beim Bürgermeister Steinecker in Ybbs unterbringen.«
»Das genügt mir selbstverständlich, Herr Landrat«, antwortet Winkler und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: »Darf ich noch um dienstliche Anweisung ersuchen, was ich machen soll, wenn das SS-Rollkommando noch einmal bei uns auftaucht, bevor der DRK-Wagen hier ist?«
»Halten Sie durch, Winkler, der Wagen kommt! Halten Sie bloß durch«, weicht Landrat Convall aus.
»Jawohl, Herr Landrat«, antwortet der Revierinspektor und denkt dabei, dass ihm auch gar nichts anderes übrig bleibt. Die Sache steht Spitz auf Knopf – wenn der DRK-Wagen heute nicht nach Persenbeug durchkommt, weiß Gott, was dann noch alles passiert.
»Und Sie halten mich über alles auf dem Laufenden«, schließt der Oberregierungsrat das Gespräch und legt unvermittelt auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Ich muss einen Mann abstellen, um den DRK-Wagen abzufangen und einzuweisen, denkt der Revierinspektor. Was bleibt mir auch anderes, als dem Landrat Glauben zu schenken?
»Ein Bauer, der dort oben herumgeschlichen ist, hat Sie gesehen und erzählt es jetzt überall herum!«
Gestützt von seiner winzigen Ehefrau steht Klemens Markus’ grippiger Hausvater mit roten Flecken im Greisengesicht in der offenen Tür des Kabinetts, in dem der Wiener Flüchtling nun schon fast 3 Wochen untergebracht ist. Den aufgeregten Worten folgt ein veritabler Hustenanfall des alten Mannes, während seine geduldige Gattin Mühe hat, ihn zu stützen.
»Nur damit Sie es wissen, wir haben das ganze Zeugs weggeschüttet. Wir wollen so ein Teufelszeug nicht im Haus haben!«
Herrje, die Entwicklerlösung, denkt Klemens Markus entsetzt.
Die wenigen Stammgäste im
Goldenen Ochsen
haben ihn, den dahergelaufenen böhmakelnden Weana Baatzi, denkt er, zwar nicht misstrauischer angestarrt als sonst, und geredet hat wie üblich auch keiner mit ihm, schon gar nicht der Herr Ortsgruppenleiter Urban, aber es wird schon stimmen, was sein Vermieter da erzählt.
Kurz entschlossen geht Klemens Markus an den beiden vorbei in Richtung Speisekammer. Dort packt er alles Brot und sämtliche Kartoffeln, die er finden kann, in seinen Rucksack und lässt dafür seine Glühlampen zurück. Während der Hausvater längst wieder auf der Küchenbank sitzt und weiter lamentiert und weiter hustet, packt er im Kabinett seine Kleidung zusammen. Er nimmt auch den Koffer mit den Tauschwaren und geht noch einmal in die Küche zurück.
»Ich gehe nach Linz. Zu den Amerikanern«, eröffnet er seinen Hauswirten und legt damit ganz bewusst eine falsche Spur. Sollen ihn seine Verfolger, denkt er grimmig, auf der Straße nach Grein nur suchen, viel Erfolg.
»Es ist gut, dass Sie unser Haus verlassen. Die SS hat hier noch viele Anhänger!«, meint der Hausvater nur und hustet dem Markus zum Abschied noch etwas.
»Ich habe Seife im Kabinett liegen gelassen, damit der ganze braune Dreck hier weggewaschen werden kann«, bemerkt der ruhig und wendet sich zum Gehen.
Sein Ziel ist der Wald an der Spitze des Doberges. Von dort, denkt er, wird er hoffentlich bald die Rote Armee sehen, wie sie über die so genannte Scheibe, das flache, weite Schwemmland in der riesigen Donauschlinge südöstlich von Persenbeug und Gottsdorf, einmarschieren wird.
Im Persenbeuger Gemeindehaus sitzt Oberbürgermeister Josef Maier, ein kleiner, penibelst gekleideter Mann mit großen Ohren und einem mächtigen, sorgfältig ondulierten Schnurrbart in seinem Büro, das mit einer barocken Stuckdecke und 2 Gemälden des Kremser Schmidt aufwarten kann, und blickt angestrengt durch einen der schmiedeeisernen Fensterkörbe über den Marktplatz schräg rechts auf das Gerichtsgebäude, in
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