223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Persilschein in Händen hält. Zufrieden unterschreibt er das Dokument. Dann steht er auf, umrundet langsam den Schreibtisch und überreicht Dr. Weisz das Protokoll mit einer gewissen Feierlichkeit.
»Wenn ich noch um Ihre Unterschrift bitten dürfte! Bitte auch alles durchzulesen.«
»Ja, ja.«
Der Gendarm tritt einen Schritt zurück und greift nach der dickbauchigen Füllfeder auf seinem Schreibtisch, mit der er sich auch die Notizen gemacht hat.
»Sind Sie damit einverstanden, Herr Doktor?«, fragt er den unkonzentriert lesenden Zeugen, dessen Nervosität offensichtlich ist.
»Was wird mit uns, mit meiner Frau, meiner Schwester?«, fragt Dr. Weisz, und ein wenig Angst ist in seiner Stimme zu hören.
»Wir werden schon eine Lösung finden«, versucht der Revierinspektor zu beruhigen.
»Was denn für eine Lösung?«
»Entweder behalten wir Sie hier auf dem Posten und bewachen Sie Tag und Nacht, oder es gelingt mir, Sie von hier wegzubringen. Aber dafür muss ich noch ein, zwei Anrufe machen«, antwortet der Gendarm und fügt eindringlich hinzu: »Eines von beiden wird schon funktionieren – darauf gebe ich Ihnen mein Wort als Gendarm! Und als Mensch.«
»Ich unterschreibe.«
»Dann können wir ja gleich auch zu Ihrer Frau und Ihrer Schwester ins Dienstzimmer gehen, um sie um ihre Unterschrift zu bitten.«
Durch die geschlossene Bürotür beginnt es nach frischem Tee zu riechen. Korporal Landler, denkt Winkler, hat offenbar wieder einmal gezaubert.
»Noch etwas muss ich Sie von Amts wegen fragen, Herr Doktor«, beginnt der Revierinspektor wieder, und die Frage scheint ihm schon im Voraus unangenehm zu sein.
»Das wäre?«, fragt Dr. Weisz müde.
»Waren irgendwelche Verwandte von Ihnen gestern Abend im Lager? Wenn ja, schreiben Sie mir bitte ihre Namen auf dieses Blatt ... Es ist für die amtliche Liste der Opfer«, fügt Winkler hinzu.
Er reicht dem Mediziner einen großen, leeren Bogen. Mit unbewegtem Gesicht schreibt Dr. Weisz schnell in gestochen scharfer Schrift 6 Namen auf das Blatt. Es sind die Namen seiner zweiten, jüngeren Schwester Paula Precz-Weisz und ihrer 5 Kinder.
»Mein Beileid«, sagt der Revierinspektor leise mit kratziger Stimme.
Das große allgemeine Dienstzimmer des Gendarmeriepostens Persenbeug im Gebäude des hiesigen Gerichtes am Marktplatz gleicht einem überfüllten, verrauchten Lazarett. Ingenieur Eugen Kálmár und Regina Solt liegen noch immer verstört, zitternd und dabei fast besinnungslos unter 2 groben, braunen Wolldecken auf einem Feldbett. Daneben lehnt die schwer verwundete Regina Varga, auf einem Hocker sitzend, mit dem Rücken und dem Kopf gegen die Wand. Über ihr hängt ein Regal mit der spärlichen Dienstbibliothek des Postens, vornehmlich juridische Werke, Sammlungen nationalsozialistischer Gesetze. An ihrem zerschossenen Körper kleben praktisch alle Verbände, die der Erste-Hilfe-Kasten des Postens nur hergegeben hat. Dr. Weisz hat ihre Wunden sorgfältig mit Alkohol und Jod gereinigt und desinfiziert und danach verbunden. Eine chirurgische Versorgung der Ein- und Ausschusslöcher und der Wundkanäle konnte er natürlich nicht leisten. Regina Varga scheint einigermaßen ansprechbar, aber auch unendlich müde und schwach.
Dr. Weisz’ Frau und seine Schwester kauern in Decken gehüllt auf einfachen Sesseln und rühren sich nicht. Ihr Zustand ist erbärmlich, gleicht einem Wachkoma. Zwischen all diesen Überlebenden stehen und sitzen überaus angespannt die Gendarmen. Sie haben mit den 6 Überlebenden ihre Zigaretten geteilt, die Jause und das Nachtmahl, das ihnen ihre Frauen in Blechgeschirren mit in den Dienst gegeben haben. Nun wissen sie nicht recht, was weiter zu tun ist, und spüren die unerträgliche Ungewissheit im Raum. Korporal Landler geht mit einer großen Teekanne und einem Porzellanhäferl, in das er laufend Tee einschenkt und aus dem er jeden, der nur mag, trinken lässt, im Zimmer hin und her. Er ist gegenwärtig wohl der Einzige aus der ganzen Mannschaft, der eine richtige, sinnvolle Aufgabe hat, während sich alle anderen nur zugleich gelangweilt und furchtsam an ihren Karabinern festhalten und auf das Innigste wünschen, dieser Tag und dieser Krieg wären schon vorüber.
Vor dem Posten am Marktplatz steht Korporal Soukop mit durchgeladenem Karabiner und aufgepflanztem Bajonett Wache. Er ist sich überhaupt nicht sicher, ob er wirklich dazu entschlossen sein sollte, im Falle des Falles auf alles, was einen Totenkopf an der Uniform
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