2243 - Die Mediale Schildwache
nicht einmal mehr ein Stumpf stand. Die Kybb-Cranar würden nicht einen Baum der Residenz verschont haben.
Einige Minuten lang kämpfte die Motana sich durch den widerwilligen Aschesumpf, ohne einen Hinweis darauf zu finden, dass sie sich am Standort der ehemaligen Residenz befand. Schließlich hatte sie Glück.
Ein Loch klaffte im Boden, schwärzer noch als die Asche. Vorsichtig stieg sie die steile, aus verhärtetem Lehm angelegte Treppe hinunter. Ein schwacher Lichtschimmer erwartete sie unten. Sie war auf eine der künstlichen Höhlen gestoßen, in denen die Einwohner der Residenz die Lichttierchen gezüchtet hatten, die ihnen bei Dunkelheit Beleuchtung spendeten. Das geisterhafte Leuchten ging von dem großen Tank mit den Lichttierchen aus. Sie waren tot, ihr Lichtschimmer ein geisterhaftes Nachglühen. Das Sonnenlicht, das man ihnen über Spiegel zugeleitet und das sie ernährt hatte, war ausgeblieben. Kein Lichtner hatte überlebt, der das Wasser in ihrem Tank erneuert hätte.
Zephyda stieg wieder an die Oberfläche, Tränen in die Augen. Als Kind hatte sie oft mit den Lichttierchen gespielt, trotz der Verbote der Erwachsenen. Alle Motana-Kinder hatten es getan. Bestimmt auch Lesyde, auch wenn sie nie dabei erwischt worden war.
Die Motana überlegte. Die zwanzig Kammern für die Lichttierchen waren sternförmig angeordnet gewesen. Zephyda maß am Stand der Sonne die Himmelsrichtungen ab, gewann eine Vorstellung von ihrer Position. Nach und nach gelang es ihr, die verkohlten Stämme den prächtigen, scheinbar unverrückbaren Bäumen zuzuordnen, in deren Schutz sie aufgewachsen war. Sie fand den Baum, an dem das Haus der Planetaren Majestät gehangen hatte. Die Stelle, an der sie beim Versuch, die Majestät zu retten, gestürzt war, und die Route, auf der Rhodan und Atlan sie, schwer verletzt, aus der untergehenden Residenz gerettet hatten.
Schließlich die Route, auf der ihre Schwester Lesyde gestorben war - wie Zephyda geglaubt hatte, bis sie Hekhet begegnet war.
Zephyda folgte ihrem damaligen Fluchtweg, so gut sie konnte. Mehrmals musste sie lange Umwege machen, um umgestürzte Stämme zu umgehen. Ihre verkohlten Oberflächen waren zu glatt, als dass sie an ihnen Halt gefunden hätte. Immer wieder stachen von der Sonne ausgebleichte Knochen aus der Asche. Es waren ausnahmslos die von Motana. Zephyda fand keine Gebeine von Kybb-Cranar.
Die Igelwesen mussten ihre Toten mitgenommen haben, während sie die toten und sterbenden Motana zurückgelassen hatten, dem Feuer, den wilden Tieren und der Sonne ausgesetzt.
Schließlich kam Zephyda vor dem Baum zu stehen, der nach Atlans und Rhodans
Aussage ihre Schwester erschlagen hatte. Sie selbst war zu dem Zeitpunkt längst nicht mehr bei Bewusstsein gewesen, ihre Verletzungen hatten sie an den Rand des Todes gebracht.
Die Motana fand einen Stock, der wie durch ein Wunder nicht verbrannt war, und begann entlang des Stamms in der Ascheschicht zu stochern.
Sie fand nichts.
Was nichts bewies. Der Stamm konnte Lesyde unter sich begraben haben. Dann würde sie nie eine Spur ihrer Schwester finden. Oder er hatte sie verfehlt. Lesyde war flink. Ein kleiner, wendiger Blitz.
Vielleicht war es ihr gelungen, dem stürzenden Baum auszuweichen, ihm und den Hunderten von Kybb-Cranar, die alle Motana, die sich nicht auf den ersten Anblick für die Arbeit in der Mine des Heiligen Bergs eigneten, getötet hatten. Lesyde war so klein und unscheinbar gewesen. Wenn sie es wollte, hatte sie keiner bemerkt...
Zephyda war drauf und dran, ihre Suche aufzugeben, als ihr Stock in einiger Entfernung von dem Stamm einen Knochen zutage förderte. Einen Unterarm, klein wie der eines Kindes.
Eine unsichtbare Schlinge schnürte Zephyda den Hals zu. Sie ging in die Knie, beförderte den Aschebrei mit beiden Händen zur Seite.
Das muss nichts heißen! Die Residenz ist voller Kinder gewesen. Es muss nicht Lesyde sein.
Vielleicht gehört der Knochen auch einem Erwachsenen. Ja, einem kleinen Erwachsenen. So muss es sein!
Zephydas Hände fanden weitere Überreste. Einen Hüftknochen, den sie mit einer Hand umfassen konnte. Niemals der eines Erwachsenen.
Nein, bitte nicht!
Einen Oberschenkel, nicht einmal so lang wie ihr eigener Unterarm.
Nein!
Und schließlich fand sie einen größeren Knochen. Von anderer Farbe als die übrigen, angebleicht, aber bestimmt nicht der eines Kindes. Bestimmt nicht...
Sie griff nach dem Knochen, hob ihn hoch. Ihr Mittelfinger ertastete eine Vertiefung.
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