225 - Kalis Kinder
Innere des Berges führte, und eine zweite für den Rückweg.
Überbleibsel aus der Zeit, als hier noch Erz abgebaut worden war.
Weitere Leitern brachten den Oberkalii tiefer in das Reich der Göttin, das sich auf zehn Ebenen labyrinthartig in den Bauch der Erde erstreckte. Er balancierte über eine schmale, aus Seilen geknüpfte Hängebrücke, die sich über einen tiefen Felsspalt spannte. Wie weit der Einschnitt hinab reichte, hatte noch kein Kali-Jünger ausloten können. Den Aufschlag von Dingen, die man hinein fallen ließ, hörte man jedenfalls nicht mehr. Sie verschwanden für alle Zeiten in der finsteren Tiefe.
Kuduvasi erreichte die Wohnhöhlen. Zuerst verneigte er sich in die Richtung der Höhlen, in denen die Verehrungswürdigen dahinsiechten, ohne ihnen allerdings einen Besuch abzustatten. Dann ging er in seine eigene und machte sich frisch. Schließlich suchte er auf direktem Weg die Göttin auf. Er hoffte, sie bei guter Gesundheit anzutreffen. Kali ließ ihn auch sogleich vor.
Er schlüpfte in die prächtige Höhle, die mit verschwenderischem Reichtum ausgestattet war. Überall blitzten goldene und silberne Statuen, Krüge und Waffen, und dicke Teppiche bedeckten den Boden. In Felsnischen auf halber Höhe brannten Kerzen und warfen flackerndes Licht in Kalis Wohnstatt. Die überlangen Schatten ließen die Göttin, die aus dem Götterhimmel herabgestiegen und Mensch geworden war, noch grausamer erscheinen als der Ruf, der ihr vorauseilte. Doch Kuduvasi wusste sehr genau, dass der Schein trog, dass Kali mit ihrer menschlichen Erscheinungsform ihre positive Seite als Beschützerin der Menschen und göttliche Mutter Kalima, als Zerstörerin alles Negativen verkörperte.
»Ich grüße dich, meine Göttin.« Er verneigte sich und streckte die Zunge heraus.
»Willkommen in meiner Heimstatt, Kuduvasi.« Kalis Stimme klang schwach, krächzend, etwas stolpernd. Wie immer geriet ihr Lächeln zu einer Grimasse, während sie drei ihrer Arme zum Gruß hob. »Du warst in Kovlam?«
Er setzte sich und trank das Wasser, das ihm eine Dienerin brachte. »Ja, ich war in Kovlam. Und ich bin fester denn je entschlossen, das Übel, das von dort ausgeht, ein für allemal zu beseitigen.«
Kali schaute einige Momente sinnend vor sich hin. »Ich bin mir sicher, dass du ein guter Oberkalii bist, Kuduvasi. Nicht zuletzt deswegen habe ich dich nach Pancas Tod zu dessen Nachfolger ausgerufen. Aber du bist anders als dein Lehrmeister. Wilder, entschlossener, mit einem stärkeren Willen, als er ihn hatte. Du bist sogar bereit, dich über meinen Willen hinwegzusetzen. – Wenn auch in bester Absicht«, fügte sie schnell hinzu, als er widersprechen wollte.
Kuduvasi senkte den Kopf. »Ich weiß, was dein Wille ist, Kali. Wir sollen uns still und unauffällig verhalten, damit unsere Kultstätte und deine Heimstatt auf Erden nicht bekannt wird. Panca, mein verehrter Vorgänger und Lehrmeister, hat sich daran gehalten, und das war gut so. Aber, meine Göttin«, seine Stimme nahm einen leidenschaftlichen Ton an, »die Zeiten haben sich geändert. Es ist sehr viel schwieriger geworden. Denn die Bestien aus Kovlam bringen immer mehr Verehrungswürdige in den Dschungel, um sie dort unseren Tygern als Opfer zu überlassen. Wir tun, was wir können, um sie zu retten, aber wir finden längst nicht mehr alle. Dafür aber die Tyger. Sie haben in den letzten Monaten gut ein Dutzend der Verehrungswürdigen zerrissen, die unserer Aufmerksamkeit entgangen sind.« Der Oberkalii breitete die Arme aus. In seinen Augen brannte ein Feuer. »Wir müssen handeln, meine Göttin, glaube es mir. Und zwar rasch! In den Adern der Verehrungswürdigen scheint ein Gift zu fließen, das nicht nur sie selbst umbringt, sondern auch unsere Tiere! Erst neulich ist Sadistas persönlicher Tyger unter fürchterlichen Qualen eingegangen, nachdem er zuvor einen der Verehrungswürdigen zerrissen und gefressen hatte.«
»Das ist schlimm. Warum hat mir Panca nichts davon erzählt?« Kali stützte sich ab und rückte ihren Körper mühsam in eine bequemere Position.
»Weil er bereits verwirrt war und seinen Tod nahen fühlte, meine Göttin. Lass dir nun von mir berichten, dass die Tyger zu ahnen scheinen, wo das Böse wohnt. Seit einiger Zeit greifen sie verstärkt Kovlam an und töten Menschen, ohne sie zu fressen. Wir können sie nicht davon abhalten, denn sie sind uns zwar seelenverwandt, besitzen aber doch ihren eigenen Willen.«
»Ich weiß es.«
»Dieses Sterben
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