2277 - Die Macht der Sekte
ihm das vergelten zu wollen.
Immerhin hatte er durch den gescheiterten Attentatsversuch vor vielen Jahren seine Tochter verloren.
Er wäre kein echter Mann, wenn er diesen Groll nicht hegte und pflegte. Und die Pattsituation, die herbeigeführt worden war - auf der einen Seite das hinterlegte Schriftstück, auf der anderen der Job als Fremdenführer und jetzt die Abfindung ...
Carreras wüsste, dass solche Konstruktionen instabil waren und dazu neigten, eines Tages in eine Richtung auszuschlagen - gemäß dem Gesetz der Entropie, wonach alles, was einen höheren Grad der Organisation einnahm, irgendwann einmal im Chaos endete.
Aber die Neuigkeiten, die Datone ihm mitgeteilt hatte, verblüfften ihn. Konnte es sein, dass er die Wahrheit sagte? Romero ein Kumpan des Sektenführers? Es gab keinen geschickteren Weg für einen Intriganten, als die Wahrheit zu seinem Verbündeten zu machen.
Er konnte nicht sagen, ob es stimmte. Es war ihm noch nichts zugetragen worden, was in diese Richtung ging. Auch von Severin nicht. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Man wusste nie, wen die Gerüchte als Ersten erreichten.
Und es passte zu Romero, diesem flinken Wiesel mit der aalglatten Zunge, dass er sich mit einem religiösen Fanatiker und Sektengründer zusammentat.
Carreras schlug sich schon mit diesem Romero herum, seit er die Camorra gegründet hatte. Schon wenige Wochen danach hatte er auf den Westen der Stadt gedeutet und zu Mario, seinem unermüdlichen Helfer, gesagt: „Das ist Romeros Heimatgebiet. Er wird seinen Vorteil ausbauen. Aber hüte dich vor ihm. Dieser Mann kennt keine Treue."
Und er hatte Recht behalten. Immer wieder hatte Romero versucht, sein Monopol zu brechen, mehr oder weniger im Verborgenen, bis es zu einem gewaltigen Ausbruch gekommen war, der viele das Leben kostete. Manche hatten es als Bandenkrieg bezeichnet, aber es war nichts weiter als ein Griff nach der Macht gewesen. Romero war gescheitert.
Und dass Carreras den Sieg und den Titel des Don davongetragen hatte, musste seinen Hass noch verstärkt haben.
Dann dieses Attentat vor sieben Jahren, bei dem Romero unversehrt geblieben war ...
Der Hass auf ihn, Miguele Carreras, musste teuflisch in ihm brennen.
Ja, er traute Romero zu, sich mit einer Sekte verbündet zu haben. Dieser Mann war zu allem bereit, was seinem Widersacher schaden konnte, wie dürftig seine Vorteile auch immer ausfielen. Weitblick in Fragen der Macht war nicht Romeros Sache, sodass er nicht bemerkt hatte, wie stark die Präsenz des Carlosch Imberlock das Machtgleichgewicht Neapels stören würde.
Aber Carreras ahnte es. Imberlock durfte seine Macht nicht bedrohen. Carreras hatte in Neapel das Sagen, kein anderer.
Er musste Romero aus dem Weg räumen, ein für alle Mal.
Er wählte eine Nummer und sprach nur sieben Worte, ehe er die Verbindung wieder desaktivierte: „Mario, ich habe einen Auftrag für dich."
Don Carreras lachte so durchdringend und laut, dass der Sekretär an seinem Schreibtisch im Vorzimmer ängstlich die Schultern hochzog. Wer den Padrino herausforderte, war so gut wie tot.
Datone war ganz aufgeregt. Schon auf dem Rückflug nach San Marco, in die Geborgenheit seines kleinen Apartments, schmiedete er die ersten Pläne.
Carreras wollte, das er die Neapolitaner mobilisierte, dass er eine Protestbewegung auf die Beine stellte? Kein Problem. Er würde alles daransetzen, seinen Wunsch zu erfüllen. Genug finanzielle Mittel hatte er ja jetzt. Er konnte mit seiner Abfindung in Vorkasse treten und sicher sein, dass Carreras ihm finanziell auch weiterhin unter die Arme griff.
Carreras war der ungekrönte König von Neapel. Er hatte mehr Geld als sonst jemand in dieser Stadt und in ganz Italien. Millionen von Galax flössen ihm jährlich zu.
Mit dieser Person im Hintergrund konnte Datone nicht scheitern.
Zumal er schon einen Plan hatte. Bestimmt hassten viele Neapolitaner diese verfluchte Sekte. Eigentlich gab es in Bezug auf sie nur zwei mögliche Haltungen, dafür oder dagegen. Und Datone wollte nicht sein Leben lang ein guter Menschenkenner gewesen sein, wenn nicht die meisten Bewohner dieser Stadt die Orbhon-Jünger aus tiefstem Herzen verabscheuten.
Er würde über das städtische Datennetz vorgehen. Später konnte er immer noch Live-Veranstaltungen abhalten. Er würde Interessengruppen ausfindig machen, Communities aufsuchen, Newsletter verbreiten und durch bestimmte Auswahlkriterien jeden Netzteilnehmer herausfiltern, der etwas gegen Imberlocks
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