2279 - Zeit der Schatten
sahen. Seitdem hatten sie geschwiegen, alle sieben noch lebenden Mitglieder der Expedition. Sie warteten darauf, dass er etwas sagte. „Orren?", drängte Myles. „Nun lass ihm doch Zeit", sagte Inshanin, die Augen hinter der getönten Brille verborgen. „Du siehst doch, dass er noch ganz benommen ist."
„Vielleicht", sagte Kantor, „weckt der Anblick seine Erinnerung an die Zeiten ARCHETIMS. Das war schließlich die große Zeit der Schohaaken."
„Das ist eine wissenschaftliche Hypothese, die ich nur als gewagt bezeichnen kann", kam es von Aileen Helsin, der kleinen Siganesin, die auf Kantors Schulter saß. „Nichts deutet darauf hin, kein Schohaake hat bisher angesichts eines anderen eine derartige Reaktion gezeigt. Und an den Statuen ist nichts Anmessbares, das ..."
„Still jetzt." Myles seufzte. „Das ist einer jener Fälle, in denen Intuition weiterhilft. Und die Erfahrung mit kosmischen Geheimnissen. Analogiebildung gewissermaßen."
„Nein!" Orrens Kehle entrang sich ein qualvolles Stöhnen. „Nein, da ist ... nichts. Alles ist tot... leer... traumlos ...!" Der Schohaake erschrak vor seiner eigenen Stimme. Er hatte nicht so heftig sein wollen.
Aber er fühlte sich in die Enge getrieben. Myles meinte es nicht böse, das wusste er ja. Sie hatten ihn nicht ohne Grund mitgenommen, sondern gerade darauf gehofft - dass er sich erinnerte, an seine Herkunft, an alles, was vor jenem Moment gelegen hatte, als Alexander Skargue ihn im Schnee fand und mühsam aufpäppelte.
Er wusste auch, dass sie ihn für einen „materialisierten Aktionskörper" der längst verstorbenen Superintelligenz ARCHETIM hielten, deren „Leichnam" in der Sonne Sol vermutet wurde. Sie wussten so gut wie nichts über ARCHETIM, deshalb hofften sie, dass er seine Erinnerung wiederfand und ihnen mit wertvollen Informationen weiterhelfen konnte. Aber da war noch nichts.
Momentan war er ein Gestrandeter ohne Erinnerung, doch was würde er sein, wenn die Spekulationen der Terraner zur Gewissheit wurden? Ein bloßes Instrument, ein hohler Behälter für etwas ganz anderes? Das Puzzlestück eines Plans, der über ihn selbst weit hinausging?
Wäre er dann nicht degradiert, entwürdigt, entwertet? Und was, wenn er ein Individuum bliebe, das zwar seinen eigenen Wert besaß, aber dafür seinen Lebensmittelpunkt verloren hatte? Würde er den Seelenschmerz fühlen, erdulden und womöglich dahinsiechen, um an diesem Verlust zu Grunde zu gehen?
Sein Verstand riet Orren, es dabei bewenden zu lassen, wie es war. Und zugleich riet er ihm, alles zu ändern: Klarheit anstelle des Schleiers, der über seiner Vergangenheit lag.
Innerhalb kürzester Zeit hatten Ereignisse wie Donnerkeile seine Welt erschüttert und die Neugierde erweckt: Als Myles ihn im Augenblick größter Gefahr gedrängt hatte, sich als Schohaake über Funk an die Station zu wenden, hatte sich wie durch ein Wunder die energetische Röhre aufgebaut, in der sie Rettung fanden. Und jetzt - zwei Schohaaken-Statuen, die den Zugang zu dieser wundervollen goldenen Sonnenstation bewachten? War das Zufall? „Nein", sagte er leiser. „Da ist nichts. Ich weiß nichts. Es tut mir Leid."
„Es braucht dir nicht Leid zu tun, Orren", tröstete ihn Inshanin. Sie drehte den Kopf und sagte in tadelndem Tonfall: „Eine Holo-Aufzeichnung bringt nicht so viel wie eine direkte Begegnung. Seht euch doch die Sehnsucht in seinen Augen an, Leute! Es ist an der Zeit, sich draußen umzusehen, Myles. Für die INTRALUX können wir nichts tun. Sie ist in einem furchtbaren Zustand, aber wir sind Wissenschaftler und keine Techniker."
„Sie hat Recht", meinte Attaca Meganon. „Ich bin auch dafür, dass wir aussteigen."
Der schlanke Terraner wirkte bedrückt. Sie alle hatten den tragischen Tod ihres Gefährten Rui Agh'anas noch nicht verwunden. Doch so groß ihre Trauer auch war, es durfte sie nicht lähmen.
Orren Snaussenid war erleichtert, als Myles nickte. Er und die anderen trugen bereits ihre Schutzanzüge. Sogar für ihn hatten sie einen mitgeführt. Er war ihm unbequem, aber er sah ein, dass er ihn brauchte. Auch wenn Myles etwas anderes glaubte - oder hoffte -, er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was sie erwartete, wenn sie die Plattform verließen.
Er war innerlich aufgewühlt. Natürlich machte er sich seine Gedanken und fragte sich, was die beiden Statuen zu bedeuten hatten. Und deshalb zog es auch ihn nach draußen.
Selbstverständlich wollte er mehr über diese drei Stationen erfahren, die
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