2289 - Der eiserne Finger Gottes
zu machen. Aber dann sah Taban-Tselayu mit einer gewissen Erleichterung, wie der Zorn aus den Augen des anderen schwand.
„Tum-Tawalik, gehe Er hinaus. Ich werde Ihn rufen, falls Er gebraucht wird."
Der Diener stand auf, verneigte sich und ging. Aber Taban-Tselayu sagte sich, dass es eben nur eine gewisse Erleichterung bedeutete, Geon-Durn in dieser Frage einlenken zu sehen.
Alles andere schien eher erschwert. Vor allem die wichtigen Fragen.
„Sprich nie wieder so mit mir, hörst du?" Geon-Durn schaute ihn bei diesen Worten nicht an; er presste sie durch die Zähne. Der Satz endete mit einem schroffen Fauchen.
„Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Wie jetzt." Gern hätte er gelächelt, alles zu überspielen versucht, aber es war zu ernst. Taban-Tselayu deutete auf die Karte. „Sprich über die Lüge, ehe ich dir sage, was ich zu sagen habe. Weshalb ich gekommen bin."
„Grachtovan", sagte Geon-Durn mit flacher Stimme und immer noch ohne ihn anzusehen, „liegt nicht auf dem Äquator. Die anderen Reiche, die großen Mächte an den Meeren, haben sich darauf geeinigt, dass der Längengrad null nicht durch Grachtovan läuft, sondern hier."
Er deutete auf die Meerenge zwischen den Nordkontinenten Huqaran und Niqaran.
„Woher weißt du das?"
„Ich habe vor einigen Zehntagen von einem Händler Nachrichten erhalten. Und eine neue Karte, angefertigt von den Zeichnern der Kriegsflotte des Kaisers von Niqaran."
„Behalte sie für dich", sagte Taban-Tselayu. „Oder verbrenne sie. Du weißt, dass die Mond-Deuter sonst die Karte und dich verbrennen. Außerdem hat es wirklich keine Bedeutung."
„Du widersprichst dir." Geon-Durn setzte ein bemühtes Lächeln auf. „Wenn es unwichtig wäre, könnte ich es jedem zeigen. Die Karten und die Berechnungen. Die Priester halten es für sehr wichtig, sonst ... Kein Feuertod."
„Wollen wir nicht endlich einen Unterschied einräumen zwischen dem, was wichtig ist, und dem, was der Tempel als wichtig bezeichnet?"
„Aber das ist es doch gerade! Sie sagen, der Finger Gottes habe sich in den wichtigsten Punkt der Erde gebohrt, den Mittelpunkt. Grachtovan liegt südlich des Äquators, auch wenn die Priester nur Karten zulassen, auf denen der Äquator durch Grachtovan verläuft. Und wenn es wirklich so wichtig wäre, hätte der Gott nicht zugelassen, dass der Längengrad null einfach so verschoben werden kann."
Taban-Tselayu unterdrückte einen Seufzer. Aussichtslos, sagte er sich. Es hat überhaupt keinen Sinn, mit ihm zu reden. Schon gar nicht, ihm etwas anzuvertrauen. Ihn einzuweihen in das Vorhaben, das alles ändern soll. Ein falsches Stichwort, eine falsche Frage morgen bei seinem Vortrag, und er wird es allen ins Gesicht schreien.
Laut sagte er: „Welche weiteren Schlüsse ziehst du daraus?"
Geon-Durn lächelte - diesmal wirkte er überlegen. „Ich werde morgen die Wahrheit sagen.
Nein, ich werde sie beweisen, so dass keiner widersprechen kann."
„Die Wahrheit? Welche? Deine? Unsere? Die Wahrheit des ... des Buchs?"
„Das wird nicht nötig sein."
Taban-Tselayu schluckte. Das wird nicht nötig sein klang nicht so, als wolle Geon-Durn es ausschließen. Die Verwendung des Wissens, das in jenem Buch stand.
Das Buch, das die Bruderschaft seit Jahrhunderten hütete, um es vollständig zu enträtseln und erst dann, wenn alles gesichert war, zu verwenden. Zum eigenen Nutzen, auf jeden Fall gegen die Priester.
Mühsam beherrscht sagte er: „Hört zu, Edler von Taraon. Ihr seid geachtet als Edler und als Wissenschaftler. Als Wissen Schaffender. Vor zehn Jahren wart Ihr bereits groß. Obwohl ihr erst einundachtzig wart, hat Euch damals die Bruderschaft der Eisensucher das Eisenbuch übergeben, damit Ihr es hütet und mehrt."
Geon-Durn verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hüte es und habe es gemehrt." Seine Stimme klang kalt, abwehrend. „Was willst ... was wollt Ihr? Sagt endlich, wozu Ihr gekommen seid."
„Um Euch zu warnen."
„Warnen? Wovor? Und in wessen Auftrag?"
„Im Auftrag der Brüder. Um keinen Preis dürft Ihr Wissen aus dem Buch verwenden. Die Priester dürfen nie erfahren, wo sich das Buch befindet. Nicht einmal, wer überhaupt zur Bruderschaft gehört. Alle, von denen sie es je angenommen haben, wurden gefoltert und getötet."
„Ich weiß. Ich weiß auch, dass nur einige glückliche Zufälle verhindert haben, dass sie das Buch finden. Ich ..." Er schob den Unterkiefer vor, bleckte die Schneidezähne und schaute in die Ferne.
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