2289 - Der eiserne Finger Gottes
fünfte - Chingar - würde bald aufgehen, und zweifellos wussten die Mond-Deuter, was der Gott damit sagen wollte. Zerfleischt das feindliche Rudel, schindet den Anführer, das Fell gebt den Erhabenen.
So oder ähnlich. Hinter den Monden, jenseits von allem, prangte die gleißende Sternaschale, die alles umgab.
Tum-Tawalik ging schnell durchs milde Zwielicht. Er hatte dem Herrn gesagt, er wolle versuchen, mehr über die Gerüchte zu erfahren, und Geon-Durn hatte ihn für den Abend entlassen. In der Ferne hörte er das Fiepen von Wüstentorgers, und irgendwo schabte ein Sirip seine Schuppenhaut an einer Rinde.
Im Haus herrschte die gewohnte Ordnung; davon hatte Tum sich überzeugt. Die Sklaven, heimgekehrt von der Arbeit auf den Feldern, würden jetzt in der Küche essen und sich dann in die beiden Schlafsäle begeben; die anderen Knechte und Mägde, die wie er enge Kammern im ersten Stockwerk bewohnten, hielten sich wahrscheinlich im Freien auf, um die frische Abendluft zu genießen und zu plaudern.
Er hatte andere Absichten. Ayiska wartete beim Tempel, wo sie sich immer trafen. Gab es einen besseren Ort als diesen, genau unter den Augen der Priester? Sie blickten hierhin und dorthin, überwachten alles, schickten ihre Büttel durch die engsten Gassen von Grachtovan - aber im Tempel selbst waren sie seltsam blind. Oder achtlos.
Wahrscheinlich konnten sich die nahezu allmächtigen Priester und Mond-Deuter gar nicht vorstellen, dass jemand gewissermaßen ihre unmittelbare Nähe suchte, um möglichst weit entfernt von ihnen zu sein. Ein altes Sprichwort aus Taraon fiel ihm ein: In den Augen des Ungeheuers bist du Fraß, vor seinen Augen verloren, neben seinen Augen sicher.
Ayiska ... Er lächelte vor sich hin, und ein schwarz gefärbter Büttel, der ihm auf der Gasse entgegenkam, warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Ayiska mit dem grün schillernden Fell, mit Feuer und Fröhlichkeit, Tochter eines Waffenschmieds, der für den Tempel arbeitete. Der manchmal im Tempel Dinge hörte, die sonst keiner erfuhr.
Aber das war nicht der Grund für ihn, Ayiska zu treffen. Der Grund war sie. Irgendwann würde er genug von seinem Lohn gespart haben, um die Knechtschaft des Edlen von Taraon zu verlassen. Und Ayiska würde die Werkstatt des Vaters übernehmen, denn sie war kräftig und geschickt und der Vater alt. Und bis dahin blieben ihnen gestohlene Nächte im Schatten.
Köstliche Nächte, sagte er sich, kostbar und karg zugleich. Zu selten, aber wie viel kostbarer und freier als alles, was sein Herr und Hy'valanna genießen mochten. Wo auch immer sie es genossen. Denn Tum würde bald frei sein und Ayiska war keine ewige Sklavin.
Falls das überhaupt noch eine Rolle spielte.
Dann dachte er an das Gespräch zwischen seinem Herrn und Taban-Tselayu. Er fauchte leise, und wieder erfasste ihn Mitleid. Trotz allem.
Mitleid wegen Hy'valanna. Mitleid wegen Geon-Durns Drang, alles mitzuteilen, was er besser verschwiegen hätte. Und Mitleid wegen der Einfalt seines Herrn.
Taban-Tselayu war härter, gerissener, aber auch er machte sich falsche Hoffnungen. Er hatte dafür gesorgt, dass Tum hinausgeschickt wurde, als Geon-Durn über Dinge sprechen wollte, die an Geheimnisse rührten.
Geheimnisse, die Tum längst kannte. Und die er für lächerlich und unbedeutend hielt.
Sollten die Herren doch über die Lage der Stadt und den Verlauf des Äquators streiten.
Sollten sie ruhig davon ausgehen, dass die Bruderschaft der Eisensucher ebenso geheim sei wie das uralte Eisenbuch.
Wieder kamen ihm Büttel entgegen. Tum verkniff sich das Grinsen, das aus seinen Gedanken stieg und sich über das Gesicht breiten wollte. Aus einer Schänke drangen flackerndes Licht und das Klirren von Bechern. Jemand stimmte ein Spottlied an, eines, das der fahrende Sänger damals hinterlassen hatte; die beiden Büttel blieben stehen und lauschten.
Tum ging schnell weiter. Er wollte nicht sehen, wie sie in die Schänke eindrangen und den Singenden festnahmen; er wollte weiterdenken, bis er zu Ayiska kam. Nicht an Ayiska und die Köstlichkeiten denken; das hätte das Gehen erschwert.
Das Eisenbuch. Er wusste, dass Geon-Durn es hütete (Wie konnten die Brüder so leichtfertig sein, es ausgerechnet ihm anzuvertrauen?), aber er wusste nicht, wo. Es spielte auch keine große Rolle; in den nächsten Zehntagen würden andere Dinge wichtiger sein.
Die Nachrichten aus Taraon, die er dem Herrn vorenthielt. Der Tod des Bruders, den der alte Händler ihm mitgeteilt
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