2293 - Ein Held für alle Fälle
nichts anmerken.
Verdammt, sei einmal im Leben ein Mann!"
Das traf genau ins Schwarze.
Jack Reuter knirschte mit den Zähnen, bis ihm die Kiefermuskeln wehtaten. Er zwang sich hinzusehen. Vielleicht geschah ja ein Wunder.
Vielleicht fuhr ein Blitz aus der Kunstsonne unter der Kuppel und traf die uniformierten Mörder. Vielleicht erhob sich irgendwo in der Menge ein Schrei, eine Faust reckte sich in die Höhe, dann noch eine, immer mehr - bis die Menschen Gon-Os Marionetten vom Podest holten.
Aber Wunder waren immer noch selten und Revolutionen noch dünner gesät. Jack Reuter blieb nicht einmal mehr die Flucht in die Traumwelt seiner Fantasien.
Plötzlich wurde es völlig still. Das ohnehin nur verhaltene Gemurmel erstarb nun ganz.
Wo blieb der Trommelwirbel? Kam jetzt der große Auftritt eines demagogischen Anklägers?
Nicht einmal das. Jack hielt den Atem an. Er spürte, wie Brads Hand sich um seinen Arm legte und drückte. Halt durch, Kamerad! Gleich ist es vorbei!
Einer der Uniformierten trat vor. Es ging tatsächlich alles ganz schnell.
Wer eine große Schau erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Und dafür der ganze Wirbel? Dazu waren sie gezwungen worden, herzukommen?
Es ging nicht darum, erkannte Jack. Es ging um die Abschreckung, natürlich, aber vor allem um die Erniedrigung. „Ich halte das nicht aus", flüsterte er.
Brad drückte seinen Arm noch fester. Es tat weh.
Der Uniformierte verlas kurz das „Urteil" - im Namen des „Gottes" Gon-O. Sonst nichts. Vierzehn Männer und Frauen wurden der Aufhetzung zum Aufruhr bezichtigt. Darauf stand der Tod. Sofort zu vollstrecken. Kein letztes Wort. Keine Gnade und kein Erbarmen. Der TLD-Offizier trat zur Seite, gab seinen Killern das Zeichen und ...
Jack Reuter sah es nicht. Er hörte das Fauchen der Schüsse und einen, einen einzigen Schrei. Er übergab sich auf den Rücken seines Vordermanns. Auch Brad bekam etwas von dem sauren Segen mit. Er hörte den Schrei, immer länger gezogen, hallend wie ein unendliches Echo.
Und eine Stimme wie eine Explosion in seinem Gehirn: „Ihr, könnt gehen, Leute! Alles ist wieder unter Kontrolle!"
Etwas stimmte hier nicht. Es ergab keinen Sinn. Aber weiter konnte Jack nicht mehr denken.
Er sah nur noch schwarze Punkte vor seinen Augen. Die Welt begann sich zu drehen. Die Kunstsonne tanzte einen irren Tanz.
Und dann war nichts mehr.
Zwischenspiel In einer weit entfernten Mondregion, in der alten Abrahams-Werft im Mare Crisium, herrschte plötzlich Betrieb. Männer und Frauen strömten in der Anlage zusammen, die bisher stillgelegen hatte. Die alten Aggregate und Maschinen waren zwar notdürftig wieder in Stand gesetzt worden, das wussten die Techniker, die in der Nachbarschaft arbeiteten. Sie verfügten über Energie und positronische Steuerung. Dennoch wurden sie derzeit nicht gebraucht, sie dienten lediglich als Produktionsreserve.
Aber nun liefen die Anlagen wieder, deren Inbetriebnahme eigentlich erst für die nächste „Ausbaustufe Luna" geplant gewesen war.
Niemand wusste, warum. Niemand hatte sie aktiviert. Es gab keine entsprechende Anweisung. Die Techniker standen vor einem Rätsel.
Nur ein einziger Mann, den keiner kannte und der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, wurde in den Anlagen gesichtet. Das kam vor. Der Mond war groß, und nicht jeder konnte jeden kennen, der vielleicht von einer der anderen Werften kam, wozu auch immer. Es war noch nichts, dem man in der Werft große Bedeutung beimaß. Wer was wann und warum machte, wusste man in der Regel nicht. Die Anlagen und Produktionsprozesse waren erstens zu verschachtelt und zweitens zu provisorisch, als dass einzelne Menschen sie derzeit überblicken konnten.
Das galt noch mehr für die Leute, die in ihnen arbeiteten.
Den wirklichen Überblick hatte nur NATHAN.
Natürlich stellte man den geheimnisvollen Fremden zur Rede. Er antwortete freundlich, ohne wirklich Klarheit zu schaffen. Was er auch behauptete - niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen. Und verdächtig, ein spionierender Diener Gon-Os zu sein, waren ohnedies alle.
In diesen Tagen konnte niemand einem anderen trauen.
Also ließ man den Fremden gewähren. Immerhin hatte er seinen Namen verraten.
Er nannte sich Raphael.
2.
Die andere Seite Remo Ambaarth wandte sich von den Holos ab und schwenkte seinen Kontursessel herum. Zufrieden lächelnd nickte er seinem Nebenmann zu. „Es ist alles in Ordnung, Dave", sagte er in monotonem Tonfall und mit näselnder Stimme.
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