2298 - Bericht eines Toten
seltsam. Jeder von uns wäre am liebsten sofort ins Bett gefallen, um zwölf Stunden am Stück zu schlafen, aber keiner war dazu imstande.
Und das lag nicht nur an der Alarmbereitschaft.
Eher an der schier unerträglichen Anspannung. Wann würde Rhodan den Startbefehl geben?
Und an der Angst.
Jeder von uns hatte Angst, nackte Angst. Würden wir in den Einsatz gehen, obwohl die FRANCISCO DE ORELLANA kaum für ein Gefecht unter den Bedingungen der veränderten Hyperimpedanz geeignet war und schon gar nicht gegen einen Kybb-Titanen?
Aber welche Wahl blieb uns letzten Endes? Cejonia war auf Terra, meine Frau. Und Maj und Xonas, unsere Kinder. Und Ravel, unser Hund. Waren sie noch sie selbst, oder hatte Gon-O sie unter sein geistiges Joch gezwungen?
Sie alle würden sterben, wenn es uns nicht gelang, das Solsystem zurückzuerobern. Das hatten die Buschtrommeln schon längst verkündet, und Rhodan verschwieg uns die Wahrheit nicht. Die Sonne würde explodieren, zur Nova werden, wenn wir die Titanen nicht aus der Korona vertreiben konnten.
Welche Wahl hatte Perry Rhodan also? „Taktisch wäre das völliger Blödsinn", sagte Ertan. „So dumm kann der Resident doch nicht sein. Und so menschenverachtend ist er auch nicht. Unser Kahn wäre nur Kanonenfutter. Wir hätten im Gefecht eine Überlebenschance von vielleicht zehn Sekunden. So etwas tut Rhodan nicht."
Ich verdrehte die Augen. Ertan hielt ständig kluge Reden über organisierte Kriegführung und ordentliche Ersatzflottillen. Sein Gerede machte mich nur wütend. „Wie kannst du nur glauben, wir könnten auch nur einen Menschen von der Erde evakuieren?
Wir kommen niemals an den Kybb-Titanen vorbei, müssen sie schon aus dem Himmel fegen, sonst gibt es nichts zu evakuieren. Sieg oder Niederlage, etwas anderes gibt es nicht. Wir alle werden kämpfen müssen, jedes Schiff ist wichtig."
Ertan sah mich abfällig an. Seine Augen waren blutunterlaufen. Ich vermutete schon lange, war mir aber nicht sicher, dass er irgendein Zeug nahm. Normalen Alkohol hätten Tabletten sehr schnell abgebaut.
Wir können stundenlang darüber sprechen, dachte ich. Wir stecken nicht drin. Wir wissen nicht, was der Resident vorhat. Und selbst wenn wir es wüssten ... Wir wären dann ziemlich sicher nicht viel schlauer, aber wir hätten hoffentlich nicht mehr so viel Schiss.
Oder noch mehr. Ich jedenfalls hatte Schiss. Bestimmt so fürchterlichen wie Cejonia, Maj und Xonas auf der Erde. Ich war bereit, zuerst zu sterben, um sie zu retten. Das waren alle von uns. Fast jeder hatte Familie im Sonnensystem. Und die Erde war unser aller Heimat.
Warum erteilt Rhodan nicht den Befehl, einfach davonzufliegen, an den Rand der Galaxis, damit wir uns dort eine neue Heimat suchen können, weit weg von dem verrückten Gott Gon-O?
Weil Cejonia, Maj und Xonas diese Möglichkeit nicht hatten, so wenig wie Milliarden anderer Menschen. Ein greller Blitz, und für sie war alles zu Ende.
Doch zu sterben und nicht zu wissen, ob mein Tod einen Sinn gehabt hatte ... ob sie überleben würden ... das kam mir am schlimmsten vor.
Dieser verdammte Gon-O!
Ich schaute verstohlen zu Harinta hinüber. Sie saß als Einzige von allen allein an einem Tisch, löffelte lustlos in einer Schale mit einem undefinierbaren Nährbrei und nahm dazu gelegentlich einen Schluck von einem Heißgetränk. Das lange schwarze Haar trug sie heute offen, zumindest während ihrer Freischicht, und es schimmerte bei jeder Bewegung. „Der Resident denkt anders als du", sagte Ertan. „Wenn du so viel schlauer bist, frage ich mich, warum nicht du Kommandant der FRANCISCO bist, sondern Harinta."
Er lachte, und die anderen lachten mit.
Er ließ nichts aus, kannte keine Gürtellinie. Zog das Gespräch hinab auf eine persönliche Ebene, auf der ich nicht gewinnen konnte. Plötzlich hasste ich ihn dafür.
Natürlich wusste er ganz genau, dass er damit meine empfindliche Stelle getroffen hatte. Ich schluckte noch einmal.
Wahrscheinlich wussten es alle an Bord. Ich hatte nie darüber gesprochen, doch wer Augen hatte, würde es wohl früher oder später mitbekommen. Dieser verdammte Ertan.
Harinta Ontramo war mit mir zusammen auf der Offiziersakademie auf Terra gewesen. Ich hatte damals schon eine Schwäche für sie gehabt, war für sie aber immer nur ein guter Freund geblieben.
Was ich eine Zeit lang sehr bereut hatte.
Und sie hatte es wesentlich weiter gebracht als ich. Sie war nicht nur Kommandantin der FRANCISCO, sondern als
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