23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
hättest verschweigen können, daß du so gar nichts bist. Ja, du hättest dir hohe Ehren beilegen können, ohne daß wir an Lüge denken durften. Du bist aber wahr und offen gewesen, und das hat dir bei uns diejenige Achtung gewonnen, die jedem gebührt, der sich zu lügen scheut. Unsere Würden sind unveräußerlich. Indem wir zu dir niedersteigen, nehmen wir sie mit herab zu dir und ehren dich durch sie. Aber wir möchten doch gern wissen, wie weit die Vollmacht reicht, welche der Ustad dir erteilte.“
„Diese Vollmacht ist die volle Macht. Es ist genau, als ob er selbst vor euch säße.“
„Du kannst über alles entscheiden, wenn es dir beliebt?“
„Ja.“
„Und er wird es bestätigen?“
„Unbedingt.“
„So freut es mich, dir mitteilen zu können, welch ein großes, reiches Geschenk ich euch heut mitbringe. Schon als ich noch in Feraghan war, hörte ich von den Dschamikun sprechen und lernte ihren Ustad am Hof des Schah-in-Schah kennen. Seit ich mich nun in Chorremabad befinde, habe ich euch unausgesetzt beobachtet. Ihr strebt nach hohen Zielen. Ihr wollt die Menschen nicht erst dort, sondern auch schon hier glücklich sehen. Und ihr greift zum besten Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Ihr hebt das Volk empor durch guten Unterricht und haltet in jeder Beziehung auch im Glauben, mit allen Menschen Frieden. Wenn jeder Stamm das täte, so wie ihr, dann würde es wohl bald den längst ersehnten achten Himmel geben, den Himmel Allahs hier auf dieser Erde! In andern Ländern wird ein solches Bestreben, wie das eurige ist, verfolgt. Wer Anteil nimmt, muß der Feindschaft unterliegen. Die Priesterschaft verdammt jeden Andersgläubigen und will nichts vom religiösen Frieden wissen. Und wer hoch steht, der haßt die Aufklärung des Volkes, weil sich nur Dumme dumm regieren lassen. Bei uns in Persien aber ist das anders. Wir wissen, daß es nicht nur einen Himmel gibt, und wollen alles Volk durch Schulen und Moscheen zur Überzeugung bringen, daß jedermann des andern Bruder ist. Bei uns gibt es also keine Verfolgung sondern Unterstützung. Wir hassen nicht; wir lieben. Hältst du das für richtig? Oder nicht?“
„Ich stimme vollständig bei“, antwortete ich.
„Das habe ich erwartet! Es beweist mir, daß du würdig bist, den Ustad zu vertreten. Ich sagte, daß ich nicht verfolge, sondern unterstütze. Ich weiß, was er von seinen Widersachern erduldet hat. Sie taten alles, um ihn zu vernichten. Ich aber komme, um ihn zu erheben. Ich will diesen Feinden zeigen, wer der Mann ist, den sie einst von sich stießen. Er soll ein Arbeitsfeld bekommen, welches seiner würdiger ist als dieses kleine, rings von Gegnern eingeschlossene Gebiet der Dschamikun. Ich will ihm viele Tausende zu Untertanen machen, die er auf seinen Wegen zu seinen Zielen führt. Ich bringe ihm Gewalt und hohe Ehre, viel größer noch, als er sich jemals träumen lassen konnte. Sein Ruhm, sein Glück liegt hier in meiner Hand. Soll ich sie wieder an mich ziehen, ohne daß du nach ihr greifst, Effendi?“
Er hatte mir die Hand mit einer unendlich herablassenden Gebärde entgegengestreckt. Ich ließ ein sehr dankbares Lächeln sehen und antwortete:
„Warum sollte ich eine so gütige Hand von mir stoßen? Aber du sagtest mir noch nicht, welche Gabe es ist, die du für den Ustad bringst.“
„So bist du also bereit, sie anzunehmen? Wohlan, so sollst du es erfahren. Weißt du, daß ich ein Sohn der frommen Takikurden bin, die unverrückt auf Allahs Pfaden wandeln?“
„Ja.“
„Und weißt du auch, daß dieser Stamm die schönsten Berge, die fettesten Weideplätze unsers Landes besitzt? Daß dieser ihr Besitz von allerhöchstem Wert ist, weil er die größte strategische Bedeutung hat?“
„Auch das weiß ich.“
„Nun, dieses reiche Gebiet mit allem, was darauf wohnt und lebt, soll von heute an in die Hand des Ustad übergehen.“
„In welcher Form?“
„Er soll der Ustad nicht nur der Dschamikun, sondern auch der Takikurden sein!“
Er sagte das langsam und mit ganz besonderer Betonung. Seine Begleiter ließen Ausrufe des Staunens und der Beteuerung hören, daß so ein Geschenk ein ganz außerordentliches sei. Er nickte ihnen wichtig zu und fuhr fort:
„Ja, noch mehr, noch mehr: Der Stamm der Takikurden soll mit dem Stamm der Dschamikun vereinigt werden, und zwar unter dem ganz vortrefflichen Namen der Taki-Dschamikun. Und diese Vereinigung soll sich in der Hand und unter der Aufsicht des Ustad vollziehen. Er wird der
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