23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Wahrheit ein Befehl, dem er gehorchen mußte. Das allerschlimmste aber ist, o Schakara, daß diese Büberei nie eignen Schatten wirft, weil sie ja stets im Schatten anderer schwelgt. Darum erscheinen diese Fleckenlosen der heiligen Einfalt drei- und zehnmal heilig, und wenn sie noch dazu so glücklich sind, vor ihrem Tod nicht entlarvt zu werden, so glaubt die liebe, liebe Unvernunft, daß sie an ihnen viel, sehr viel verloren habe, der Himmel aber viel, sehr viel gewonnen! Wenn die Ruinen da erzählen könnten! Ich sah im Traum, wie man sich verkroch! Da ging ich ruhig weiter. Doch, sollte das Geträumte sich erfüllen, so wird statt nur gefackelt, dann geleuchtet! Du weißt, wie gut wir hier versehen sind: an Fackeln fehlt es nicht!“
Hier wurde unser Gespräch unterbrochen. Drüben in den Ruinen, im obern Teil derselben, erschien nämlich Kara Ben Halef. Er sah uns sitzen und winkte uns zu, daß er zu uns kommen werde. Er ging nicht grad auf dem Glockenpfad, sondern er stieg über das Gestein gleich quer herab und kletterte an einer verwitterten Mauerstelle zu uns herauf.
„Effendi, ich habe einen Gefangenen!“ sagte er.
„Wie? Einen Gefangenen?“ fragte ich. „Hat man hier im tiefsten Frieden Gefangene zu machen?“
„Ist das Friede, wenn jemand sich nicht friedlich zu mir verhält?“
„Wer ist es?“
„Kein Dschamiki, sondern ein Fremder. Ich kenne ihn nicht, und er weigerte sich, Auskunft zu geben.“
„Wo?“
„Da drüben, in einer der alten Kirchen. Ich ging heut schon sehr früh wieder einmal durch die Ruinen. Man spricht im Duar davon, daß es dort wohl noch versteckte Plätze und verborgene Dinge gebe, die man noch nicht entdeckt habe. Ich bin derselben Meinung. Die vertriebenen Massaban, die in dem Gemäuer hausten, kennen es wahrscheinlich besser als wir, da sie dort ihre Schlupfwinkel hatten. Und wer zu dieser Sorte von Menschen gehört, weiß besser Bescheid als jeder Dschamiki. Darum muß uns jeder Fremde, der die Ruinen ohne unser Wissen betritt, verdächtig erscheinen. Folglich war ich sofort argwöhnisch, als ich in so früher Morgenzeit Schritte hörte, die sich der Stelle näherten, in der ich mich befand. Das war in dem runden Quaderturm, der trotz seiner starken Mauern schon fast in sich zusammengestürzt ist. Es führt nur eine Tür hinein, keine andere hinaus. Ich stand in der Nähe derselben und drückte mich fest an die Wand, um nicht sogleich gesehen zu werden. Der, welcher kam, trat ein. Ein hagerer Mann, nicht groß, aber stark; das habe ich dann gespürt. Er fühlte sich so sicher, daß er sich gar nicht umschaute, und ging zum nächsten, großen Brocken der eingefallenen Mauer, um sich da niederzusetzen. Dabei drehte er sich um und mußte mich nun sehen. Ich war schnell an den Eingang getreten, um ihm die etwaige Flucht zu versperren. Er erschrak, nahm sich aber zusammen und fragte mich, wer ich sei und was ich hier wolle. Das klang so gebieterisch, als ob er der Herr an diesem Ort sei. Und als nun aber ich Auskunft forderte, wurde er grob und warf sich plötzlich auf mich, um zu entkommen. Dabei hatte er ein langes Messer gezogen und schrie mich an, daß er mich sofort erstechen werde, wenn ich nicht darauf verzichte, ihn festzuhalten. Er stach auch wirklich zu. Schau hier, den Schlitz im Ärmel! Das war auf das Herz abgesehen! Ich entging der Gefahr aber durch eine schnelle Wendung, entriß ihm die Waffe, warf sie fort und rang ihn auf den Boden nieder. Das war aber nicht leicht. Dieser Mensch besaß viel Kraft und Gewandtheit. Er rang meisterhaft, ruhig still, den Atem berechnend und jeden Griff genau überlegend, ohne dabei ein einziges Wort zu sagen. Es scheint mir, als habe er schon oft in dieser Weise um seine Freiheit oder gar um sein Leben ringen müssen. Er hatte Übung! Aber er kam trotz aller Mühe nicht auf; ich hielt ihn unter mir, bis seine Kräfte schwanden und ich dadurch eine Hand frei bekam, ihm die Halsader zusammenzudrücken. Da stockte ihm das Blut im Kopf; er wurde ohnmächtig. Zwar nur für ganz kurze Zeit, aber das genügte mir, ihn zu binden.“
„Womit?“
„Die Arme, nach hinten gezogen, mit den Flügeln seiner eigenen Perserjacke. Die Beine schnallte ich ihm mit seinem Gürtel zusammen. Er kann sich nicht befreien.“
„Untersuchtest du seine Taschen?“
„Ja. Sie waren leer. Er hatte nichts bei sich gehabt, als nur das Messer. Dann eilte ich fort, um dir diesen Vorgang zu melden. Als ich in das Freie kam, sah ich dich hier
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