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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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komm mit mir hinaus zur Pferdeweide! Da sind wir ungestört. Ich träumte heut, und wenn der Geist in solcher Weise träumt, kann er es seiner Seele nicht verschweigen.“
    Wir gingen durch den Garten nach dem Stein, an dem wir schon einmal gesessen hatten. Dort setzten wir uns nieder. Ich erzählte. Sie hörte zu, ganz still, ganz still, doch zeigte sich in ihren dunkeln Augen, den wunderbaren und geheimnisvollen, von Zeit zu Zeit ein Glanz, der mich an jenes Eigenlicht des Alabasters mahnte – – – wie Sonnengold, vermählt mit Himmelsblau. Und auch als ich geendet hatte, blieb sie noch immer still. Sie hatte ihren Kopf zur Seite an den Stein gelehnt und hielt die Augenlider fest geschlossen. Ich störte sie in ihrem Sinnen nicht und wartete geduldig bis sie sprach. Sie tat es, ohne ihren Blick zu öffnen:
    „Ich sehe eine Linie, von rechts nach links gezogen. Am Ende rechts gibt's eine Sonnenglut, die alles, was da lebt, verbrennen würde, wenn es so unbesonnen wäre, sich ihr zu weit zu nähern. Das linke Ende taucht in eine Finsternis, die jeder Kreatur mit augenblicklicher Vernichtung droht. Die Linie ist unser Menschenleben. Zu weit nach rechts, zu weit nach links bringt sicheres Verderben. Grad in der Mitte liegt die Unverletzlichkeit und auch die Durchschnittslänge der geworfenen Schatten. Wer diesen Durchschnitt haßt, der wendet sich nach einer von den Seiten. Nun denke nach, Effendi, denke nach! Stehst du vielleicht grad in der Mitte?“
    „Ich hoffe es nicht“, antwortete ich.
    „So bist du also kühn, vielleicht sogar verwegen! Betrachte deinen Schatten! Wird er zu klein? Wird er zu groß! In beiden Fällen ist's um dich geschehen! Weißt du es nun, wozu die Schatten sind? So sag ich nur als Mensch, als ungelehrtes Weib. Die Allmacht aber wird wohl noch ganz andere Gründe haben, warum sie Finsternis und Licht vermählte und beiden die Erlaubnis gab, im Zwielicht unfaßbare Schemen zu erzeugen und an der Sonne jene äffenden Gebilde, die uns als Schatten sagen, daß wir sind.“
    Nun schlug sie die Augen auf, sah mir so lieb, so herzlich in die meinen, hielt mir das kleine, aber feste Händchen her und sagte:
    „Gib mir jetzt einmal deine Hand!“
    Ich tat es. Da fuhr sie fort:
    „Erlaube mir, daß ich für diese Schatten bitte! Verfahre nicht so streng wie du wahrscheinlich wolltest. Du weißt ja wohl, daß Schatten keinen Willen haben!“
    Da mußte ich doch lächeln!
    „So ist es also wahr, daß sich die Seele immerdar erbarmt, jetzt wenn der Geist auch nicht den kleinsten Grund zur Milde findet! Wer keinen Willen hat, den darf man billig schonen, doch aber den, der ihm den Willen nahm, den trete man zu Boden!“
    „Trotz deines Traumes heut – – –? Und trotz des Zauberers – – –?“ fragte sie.
    „Trotz alledem! Ich glaube, daß ich diesen Traum verstehe. Er kam zwar aus dem Schattenreich zu mir, doch war er keineswegs selbst ein Schatten. Ich träumte ihn beim ersten Sonnenstrahl und fühlte ihn verschmolzen mit mir selbst, von gleicher Wesenheit mit meinem eignen Wesen. Er hat mich viel gelehrt und handelt in mir weiter. Der Schatten, der mich vor sich selber warnt, ist Menschenfreund, ist ohne Falsch, ist ehrlich. Er rettet mich vor fremden Gaukeleien und auch vor meinen eignen Truggebilden, und Wahnsinn wäre es, wenn ich ihn hassen wollte. Für ihn hast du gebeten, Schakara. Du siehst, es war nicht nötig! Gebeten aber hast du nicht für andere, für welche ich dein Auge schärfen möchte. Ich meine jene pfiffigen Gesellen, die sich als Schatten stellen, doch aber keine sind. Die stets verführten – Verführer! Die in Demut zerfließenden – Tyrannen! Die tugendreinen – Sünder! Die opferbereiten – Feinde! Die aufrichtigen – Heuchler! Die arglos treuherzigen – Schlangen! Und noch viele, viele tausend Ähnliche, die sich sofort als Schatten des nächsten Gegenstandes in Sicherheit bringen, wenn du zur Fackel greifst, sie anzuleuchten. Sie flüchten sich vollständig waffen-, wehr- und willenlos in irgend eines Starken Schutz und Schirm. Er sinkt und sinkt und sinkt; sie aber steigen. Und dann, wenn er am Abgrund steht, von aller Welt verlassen, nur nicht von dem, der liebevoll den Fuß erhebt, um dankbar ihn vollends hinabzutreten, erkennt er endlich, aber viel zu spät, daß sie nichts weniger als arme Schatten waren. Die Willenlosigkeit war höchste Energie, die Schwäche nur die Maske der Gewalt, und jede Bitte, welche er gewährte, in

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