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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und immer dünner und endlich ganz unmöglich werden mußte! Es kostete mich schon Mühe, ihn, den Ultradimensionalen, nur noch zu erkennen. Da wendete ich meine Augen von der ebenso still wie unvermeidlich vor sich gehenden, schattenhaften Katastrophe ab.
    Ich schaute empor. Soeben verschwand die Sonne. Und da geschah das, was an jedem Tag geschieht und was wir doch bis heut noch nicht mit unserm Geist ergriffen haben: Es flammte der Westen in goldener Glut. Sie sprühte gen Himmel in zuckenden Blitzen. Ich tauchte den Blick in die feurige Flut und sah sie die Berge mit Funken umspritzen. Da, als sie mir so das Geheime erschloß, da mußten die Erdenphantome verschwinden: Sie wurden zu nichts; auch das meine zerfloß, und ich ging um ‚das Licht ohne Schatten‘ zu finden!“
    Er war da, wo die Sätze sich zu reimen begannen, aufgestanden und hatte stehend gesprochen. Jetzt ging er hinaus auf den Balkon, wohl um die Gestalten, welche in ihm erwacht waren, wieder zur Ruhe zu bringen. Als er dann wieder hereinkam, fragte er mich, indem er vor mir stehen blieb:
    „Hast du verstanden, wen und was ich mit diesen meinen Schatten meinte?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „So wirst du durch mich vielleicht die deinen sehen lernen!“
    Ich saß ruhig da. Ich antwortete nicht. Aber ich lächelte ihn an.
    „Warum bleibst du still?“ fragte er.
    „Sind Schatten es wert, daß man von ihnen spricht?“ antwortete ich.
    Er sah mich erstaunt, ja fast betroffen an. Da fuhr ich fort:
    „Wenn sie Nichtse sind, wie du behauptest, warum so viele Worte über sie? Für Nichtse gibt es eben nichts. Sie scheinen dir also doch mehr als nichts gewesen zu sein!“
    „Das war in der Vergangenheit. Das ist vorüber!“ behauptete er.
    „Vorüber? – Wirklich?“
    „Ja!“
    „Und doch erregt dich der Gedanke an sie noch heut in einer solchen Weise, daß du soeben an der Luft gewesen bist, um dich zu beruhigen! Ustad, Ustad! Du sagtest: ‚Und ich ging um das Licht ohne Schatten zu finden!‘ Hast du es gefunden?“
    Er trat einige Schritte zurück, schüttelte leise den Kopf, warf ihn dann schnell zurück und fragte mich:
    „Etwa du, Effendi?“
    „Von mir ist jetzt nicht die Rede, sondern von dir!“
    „Es war von dir die Rede, von deinen Schatten! Du hast jedenfalls gar nicht gewußt, daß du welche hattest!“
    Da stand nun auch ich auf.
    „Mein Freund“, sagte ich, „mein armer Freund! Mir scheint, du hast das Leben ganz verkehrt genommen. Die Nichtse waren bestimmend für dich, nicht aber die inhaltsvolle Wirklichkeit. Du wolltest diese Wirklichkeit beherrschen, wurdest aber leider selbst nur von leeren Schatten regiert. Darum standest du machtlos vor dem Leben, als es sein Turnier mit dir begann, und wurdest von ihm in den Sand gestreckt! Du hattest es vielleicht wohl gar herausgefordert. Du dünktest dich, ein starker Geist zu sein, und wolltest kämpfen gegen andre Geister. Weißt du, was da das Leben tat, das riesenstarke, mitleidskluge Leben?“
    Er schaute mich fragend an, antwortete aber nicht.
    „Es kannte dich. Was wäre wohl geworden, wenn es deine Forderung für Ernst genommen hätte! Es fiel ihm gar nicht ein, sich vor dir in Harnisch aufzustellen. Es schob dir einen seiner Schatten hin, die du ja selbst jetzt nur Phantome nennst. Was tatest du? Du warfst dein Leben, deinen Geist und deine ganze Rüstung hin, ergriffst die Flucht und gingst in diese Berge, um dich hier in der ‚Gruft‘, in diesem Grab deines Jugendmutes, und hinter einem fremden Namen zu verstecken! Vor wem? Etwa vor dem Leben, welches dich gar nicht angegriffen hat? Nein, sondern vor jenem Nichtse, das für dich bald ein ‚Erdengott‘ und bald ein nichtiges Phantasma ist!“
    Ich hatte in wohl ernstem Ton gesprochen. Da griff er sich mit den Händen nach dem Kopf, schaute vor sich nieder, ließ die Arme wieder sinken, holte tief, tief Atem und sagte:
    „Effendi, du schonst mich wahrlich nicht! Ich sehe und ich höre, du bist mein Freund, mein wirklicher! Solche Klarheit, wie du mir gibst, ist mir noch nie geworden! Willst du mich vernichten, um mich als einen anderen wieder aufzurichten? Wohlan, tue es! Doch erlaube mir, mich in deine Klarheit hineinzufinden! Sie kommt zu plötzlich über mich! Ein Nichts und doch ein ‚Erdengott‘! Ja, ich habe beides gesagt und mit beidem dieselbe Person gemeint. Konnte sie beides sein, beides?“
    „Ja; sie konnte es. Aber ich bitte dich: Denke nicht an konkrete Personen, niemals, nie! Sondern

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