23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
öffnet und dadurch eine industrielle Restrukturierung erleichtert.
Wir können nur deshalb so schnell Auto fahren, weil sie Bremsen haben. Wenn die Autos keine Bremsen hätten, würden selbst die geschicktesten Fahrer aus Angst vor einem tödlichen Unfall nicht wagen, schneller als 30 oder 50 Stundenkilometer zu fahren. Ebenso können Menschen das Risiko des Arbeitsplatzverlustes und die Notwendigkeit gelegentlicher Weiterbildung oder Umschulung leichter in Kauf nehmen, wenn sie wissen, dass ihre Existenz dadurch nicht gefährdet ist. Deshalb kann ein starker Staat die Menschen offener für Veränderungen machen und damit der Volkswirtschaft eine höhere Dynamik verleihen.
Zweiundzwanzig: Die Finanzmärkte dürfen nicht noch effizienter werden – im Gegenteil.
Was sie uns erzählen
Die rasante Entwicklung der Finanzmärkte hat uns erlaubt, Ressourcen schnell zu verteilen und umzuschichten. Deshalb ist es Ländern wie den USA, Großbritannien, Irland und anderen kapitalistischen Volkswirtschaften, die ihre Finanzmärkte liberalisiert und geöffnet haben, in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftlich so gut gegangen. Durch einen liberalen Finanzmarkt ist eine Volkswirtschaft in der Lage, rasch auf veränderte Möglichkeiten zu reagieren und somit stetig zu wachsen. Freilich haben einige Exzesse der jüngsten Vergangenheit die Finanzwelt in Verruf gebracht, vor allem in den eingangs erwähnten Ländern. Trotzdem sollten wir den Finanzmärkten nicht überstürzt Fesseln anlegen. Schließlich handelte es sich, so groß sie auch gewesen sein mag, um eine nicht vorhersehbare Krise, wie sie nur alle hundert Jahre einmal eintritt. Die Effizienz eines Finanzmarkts aber ist der Schlüssel zum Wohlstand einer Nation.
Was sie uns verschweigen
Das Problem mit den heutigen Finanzmärkten ist, dass sie zu effizient sind. Dank der vielen neuen Finanzinstrumente, die in letzter Zeit eingeführt wurden, ist der finanzielle Sektor wesentlich effizienter darin geworden, kurzfristig höhere Profite zu generieren. Wie man an der globalen Krise des Jahres 2008 jedoch sehen konnte, haben diese neuen Finanzprodukte nicht nur das Finanzsystem selbst, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft wesentlich instabiler gemacht. Durch die Liquidität ihrer Vermögenswerte reagieren die Inhaber dieser Werte häufig zu schnell auf Veränderungen, was es für Unternehmen aus dem Realsektor schwierig macht, sich das »geduldige Kapital« zu sichern, das sie für eine langfristige Entwicklung benötigen. Der Finanz- und der Realsektor müssen in ihren Geschwindigkeiten angeglichen werden, was bedeutet, dass der Finanzmarkt gezielt ineffizienter gemacht werden muss.
Drei unnütze Redewendungen
In den Neunzigerjahren berichteten Islandreisende, dass der am Flughafen Reykjavik ausliegende offizielle Gästeführer, wie alle solche Broschüren, auch ein Kapitel mit »nützlichen Redewendungen« enthalte. Im isländischen Führer jedoch finde sich darüber hinaus ein Kapitel mit der Überschrift »Unnütze Redewendungen«. Dieses bestand offenbar aus nur drei Sätzen, und zwar: »Wo ist der Bahnhof?«, »Schönes Wetter heute« und »Gibt es nichts Billigeres?«
Die Sache mit dem Bahnhof stimmt, so überraschend das auch klingen mag, denn in Island gibt es keine Eisenbahn. Hinsichtlich des Wetters war der Gästeführer vielleicht ein wenig zu streng. Ich habe dort noch nie gelebt, aber nach allem, was ich weiß, gibt es in Island zumindest ein paar sonnige Tage im Jahr. Was die hohen Preise anbelangt, so war der Hinweis durchaus zutreffend, sind diese doch eine Folge des wirtschaftlichen Fortschritts. In Ländern mit hohen Einkommen (es sei denn, sie verfügen über einen steten Nachschub an schlecht bezahlten Immigranten, wie etwa Australien und die USA) ist Arbeit extrem teuer, wodurch auch alles andere wesentlich teurer wird, als der offizielle Umtauschkurs vermuten lässt (siehe Nr. 10). Einst eine der ärmsten Volkswirtschaften Europas, hatte sich Island bis 1995 zur elftreichsten Volkswirtschaft der Welt emporgearbeitet (nach Luxemburg, der Schweiz, Japan, Norwegen, Dänemark, Deutschland, den Vereinigten Staaten, Österreich, Singapur und Frankreich).
Die bereits reiche isländische Volkswirtschaft erhielt Ende der Neunziger noch zusätzlichen Auftrieb, als die Regierung beschloss, den Finanzsektor zu privatisieren und zu liberalisieren. Zwischen 1998 und 2003 privatisierte das Land staatliche Banken und Investmentfonds. Gleichzeitig wurden
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