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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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meine Beispiele sollen vor allem zeigen, dass technische Kräfte wirtschaftliche und soziale Entwicklungen im Kapitalismus erheblich komplexer geformt haben, als man glaubt.

Fünf: Wenn man das Schlimmste vom Menschen erwartet, bekommt man es auch.

Was sie uns erzählen

    »Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von deren Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse«, so die berühmt gewordene Aussage Adam Smiths. 1 Diese Energie eigennütziger Individuen, die nur an sich selbst denken, vielleicht noch an ihre Familie, macht der Markt auf wundersame Weise nutzbar und schafft auf die Art soziale Harmonie. Der Kommunismus ist gescheitert, weil er den Menschen diesen Instinkt versagte und die Wirtschaft auf der Grundannahme regelte, dass jeder selbstlos oder doch zumindest weitgehend altruistisch veranlagt ist. Für den Aufbau eines stabilen Wirtschaftssystems müssen wir vom Menschen das Schlimmste erwarten: nämlich dass er nur an sich denkt.

Was sie uns verschweigen

    Eigennutz ist eines der stärksten Wesensmerkmale der meisten Menschen. Er ist jedoch nicht unser einziger Antrieb, oft nicht einmal unser wichtigster. Wenn die Welt wirklich voll wäre von selbstsüchtigen Einzelwesen, von denen in den Wirtschaftsbüchern immer die Rede ist, würde sie völlig zum Stillstand kommen, weil wir nur noch damit beschäftigt wären, uns gegenseitig übers Ohr zu hauen, Betrüger zu überführen und, so wir sie erwischen, zu bestrafen. Das Zusammenleben funktioniert nur, weil die Menschen eben nicht ausschließlich an sich denken, wie es uns die Marktliberalen einreden wollen. Wir müssen daher ein Wirtschaftssystem schaffen, das zwar den Menschen ihren Egoismus zugesteht, das aber auch die anderen menschlichen Motive ausschöpft und das Beste aus den Menschen herausholt. Wenn wir dagegen das Schlimmste von den Menschen erwarten, bekommen wir höchstwahrscheinlich auch das Schlimmste.

Wie man ein Unternehmen (nicht) führt

    Mitte der Neunzigerjahre nahm ich in Japan an einer von der Weltbank organisierten Konferenz über das »Ostasiatische Wachstumswunder« teil. Auf der einen Seite der Debatte standen Leute wie ich, die die positive Wirkung der staatlichen Inter vention auf das Wirtschaftswachstum Ostasiens betonten, denn der Staat hatte sich gegen Marktsignale gestellt und Branchen wie die Automobil- und Elektronikindustrie protegiert und subventioniert. Auf der anderen Seiten standen die Ökonomen, die die Position der Weltbank einnahmen und argumentierten, dass die staatliche Intervention bestenfalls wirkungslos gewesen sei und schlimmstenfalls mehr geschadet habe als genutzt. Falls das ostasiatische Wirtschaftswunder aber doch staatlicher Intervention zu verdanken sei, könne man sie, so fügten sie hinzu, anderen Ländern noch lange nicht ans Herz legen. Denn Regierungsvertreter, die politische Entscheidungen träfen, seien wie wir alle auf ihren Vorteil aus und mehr am Ausbau ihrer eigenen Macht und ihres Ansehens interessiert als an der Verteidigung nationaler Interessen. Die staatliche Intervention habe in Ostasien nur deshalb geklappt, weil die Beamten dort aus historischen Gründen besonders selbstlos und tüchtig seien – eine Behauptung, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Sogar einige der Fachleute, die sich für eine aktive Rolle des Staates einsetzten, räumten dies ein.
    Nun meldete sich aus dem Publikum ein distinguiert wirkender Japaner, der sich die Debatte angehört hatte. Er stellte sich als Topmanager bei Kobe Steel vor, dem damals viertgrößten Stahlproduzenten Japans, und warf den Ökonomen vor, sie hätten offenbar keinen Einblick in die moderne Bürokratie, sei es auf staatlicher Ebene oder in der Privatwirtschaft.
    »Es tut mir leid, das sagen zu müssen«, erklärte er sinngemäß, »aber ihr Wirtschaftswissenschaftler habt keinen Schimmer, wie es in der Realität zugeht. Ich habe einen Doktortitel in Metallurgie und arbeite seit fast dreißig Jahren bei Kobe Steel, weiß also einiges über die Stahlproduktion. Aber mein Unternehmen ist mittlerweile so groß und so komplex, dass nicht einmal ich mehr über alle Vorgänge im Unternehmen Bescheid weiß. Die anderen Manager, die in der Buchhaltung und im Marketing tätig sind, haben noch weniger Ahnung. Trotzdem genehmigt unser Vorstand die meisten Projekte, die unsere Mitarbeiter vorschlagen, weil wir glauben, dass unsere Leute am Wohle der Firma interessiert sind. Wenn wir davon

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