Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
Vom Netzwerk:
mich eingeschlossen, haben uns im Beruf auch mal auf die faule Haut gelegt, und manch eine Führungskraft ist schon von Mitarbeitern enttäuscht worden, die sich mit allen möglichen Ausreden um ungeliebte Arbeiten drückten. Aus den Medien erfahren wir darüber hinaus, dass professionelle Manager, auch solche, die angeblich für die Aktionärsinteressen eintreten, wie Jack Welch von GE und Rick Wagoner von GM, nichts dergleichen getan haben (siehe Nr. 2).
    Das ist alles wahr. Trotzdem weist vieles darauf hin – und zwar nicht nur Anekdoten, sondern auch systematische Studien -, dass der Eigennutz nicht die einzige Motivation ist, die im Wirtschaftsleben eine Rolle spielt. Zwar ist er durchaus eine unserer wichtigsten Triebfedern, aber wir haben noch viele andere: Ehrlichkeit, Selbstachtung, Altruismus, Liebe, Zuneigung, Vertrauen, Pflichtbewusstsein, Solidarität, Loyalität, soziales Gewissen, Patriotismus usw. All das ist als Antrieb für unser Verhalten manchmal sogar wichtiger als der Eigennutz. 2
    Das Beispiel Kobe Steel illustriert, dass erfolgreiche Firmen auf der Basis von Vertrauen und Loyalität geführt werden, nicht von Misstrauen und Egoismus. Wer das als merkwürdiges Beispiel aus dem Land der »Arbeiterameisen« abtut, in dem Individualität nicht viel gilt, braucht nur ein beliebiges Buch über Führungsaufgaben in der Wirtschaft zur Hand nehmen oder die Autobiografie eines erfolgreichen Geschäftsmanns, jeweils erschienen im Westen. Wird uns darin etwa ans Herz gelegt, unseren Leuten zu misstrauen und ständig zu kontrollieren, ob sie faulenzen und betrügen? Nein, wahrscheinlich geht es in erster Linie darum, wie man ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern aufbaut, wie man ihre Sichtweise beeinflusst, sie inspiriert und die Teamarbeit fördert. Gute Manager wissen, dass ihre Leute keine selbstsüchtigen Roboter mit Tunnelblick sind. Ihnen ist klar, dass ihre Mitarbeiter gute und schlechte Seiten haben und dass das Geheimnis eines guten Managements darin liegt, die guten zu stärken und an den schlechten zu arbeiten.
    Ein weiteres anschauliches Beispiel für die Komplexität der menschlichen Motivation ist der »Dienst nach Vorschrift«, bei dem Arbeiter die Leistung drosseln, indem sie die Regeln, die ihnen auferlegt sind, strikt einhalten. Man mag sich fragen, wie jemand seinem Chef schaden kann, indem er sich an die Regeln hält. Doch diese » semi-strike «-Methode – auch als »italienischer Streik« bekannt oder, wie die Italiener selbst sagen, sciopero bianco , »weißer Streik« – senkt den Output um 30 bis 50 Prozent. Das liegt daran, dass in den Arbeitsverträgen (Regeln) nicht alles genau festgelegt werden kann. Jeder Produktionsprozess ist daher auf den guten Willen der Arbeiter angewiesen, zusätzlich etwas zu tun, das nicht im Vertrag steht, die Initiative zu ergreifen oder Verfahren abzukürzen, wenn die Regeln allzu umständlich sind. Die Motivation hinter solch selbstlosem Verhalten der Arbeiter ist unterschiedlich: Liebe zum Job, Stolz auf den eigenen Sachverstand, Selbstachtung, Solidarität mit den Kollegen, Vertrauen in die Topmanager oder Loyalität gegenüber der Firma. Doch entscheidend ist, dass Unternehmen und damit unsere Wirtschaft zum Erliegen kämen, wenn jeder ausschließlich egoistisch handelte, wie sie es in der freier Marktwirtschaft tun müssten.
    Die Kapitalisten der frühen Massenproduktion wussten von den komplexen Motiven ihrer Leute nichts. Sie dachten, wenn den Arbeitern Arbeitstempo und -intensität aus der Hand genommen würde, wenn sie sich also nicht drücken konnten, würde das Fließband die höchste Produktivität aus ihnen herausholen. Doch wie die Fabrikbesitzer schnell merkten, wurden die Arbeiter, wenn man sie ihrer Autonomie und Würde beraubte, passiv, gedankenlos und sogar unkooperativ. Beginnend mit der Human Relations School, die in den Dreißigerjahren aufkam und eine gute Kommunikation mit und unter den Arbeitern betonte, sind seither zahlreiche Managementansätze entwickelt worden, die auf die Komplexität der menschlichen Motivation verweisen und Anregungen geben, wie man aus den Arbeitern das Beste herauskitzelt. Dies gipfelte im sogenannten japanischen Produktionssystem, auch bekannt als Toyota-System, das den guten Willen und die Kreativität der Arbeiter nutzt, indem es ihnen Verantwortung überträgt und ihnen als moralischem Subjekt vertraut. Im japanischen System wird den Arbeitern erhebliche Kontrolle über die

Weitere Kostenlose Bücher