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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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Fertigungsstraße zugestanden. Zudem werden sie ermutigt, Verbesserungsvorschläge für die Produktion einzubringen. Dank dieses Ansatzes haben japanische Firmen eine so effiziente und qualitativ hochwertige Produktion, dass mittlerweile viele Unternehmen außerhalb Japans das System kopieren. Dadurch, dass sie eben nicht das Schlimmste von ihren Arbeitern erwarten, holen die japanischen Unternehmen das Beste aus ihnen heraus.

Moralisches Verhalten als optische Illusion?

    Wer also genauer hinschaut, stößt allenthalben auf moralisches Verhalten, das der Grundannahme der freien Marktwirtschaft zuwiderläuft. Marktliberale, mit diesen Befunden konfrontiert, tun sie aber oft als »optische Illusion« ab: Wenn sich Menschen scheinbar moralisch einwandfrei verhielten, so liege das nur daran, dass man die verborgenen Belohnungen und Sanktionen, auf die sie reagieren, nicht sehe.
    Dieser Argumentation zufolge sind und bleiben die Menschen Egoisten. Moralisches Verhalten ist nicht darauf zurückzuführen, dass jemand an den moralischen Code glaubt, sondern dass ein solches Verhalten für ihn die höchste Belohnung und die geringste Strafe erwarten lässt. Wenn beispielsweise ein Geschäftsmann seine Kunden nicht übers Ohr haut, obwohl er weder rechtliche Sanktionen noch die Konkurrenz fürchten muss, die nur darauf wartet, seinen Platz einzunehmen, so heißt das noch lange nicht, dass er von Grund auf ehrlich ist. Vielmehr weiß er, so diese Argumentation, dass ihm ein Ruf als aufrichtiger Geschäftsmann mehr Kunden bringt. Viele Touristen, die sich am Urlaubsort danebenbenehmen, würden das zu Hause nicht tun – nicht etwa, weil sie anständige Menschen sind, sobald sie in die Heimat zurückkehren, sondern weil sie dort nicht mehr durch die Anonymität des Touristen geschützt und daher der Kritik von Menschen ausgesetzt sind, die sie kennen und schätzen.
    Da ist etwas dran. Es gibt durchaus subtile Belohnungen und Traditionen, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind, auf die Menschen aber reagieren. Trotzdem geht die Argumentation nicht auf.
    Tatsache ist, dass viele von uns auch dann ehrlich sind, wenn solche verborgenen Mechanismen fehlen. Warum zum Beispiel laufen wir in der Großstadt nicht einfach davon, ohne für das Taxi zu bezahlen, zumindest diejenigen von uns, die gut rennen können? 3 Der Taxifahrer kann uns nicht verfolgen, weil er sein Auto nicht einfach stehen lassen kann. Da es in einer Großstadt unwahrscheinlich ist, dass man denselben Fahrer noch einmal trifft, braucht man sich vor seiner Rache nicht zu fürchten. Wenn man das alles bedenkt, ist es doch ziemlich überraschend, dass so wenige Leute nach einer Taxifahrt flüchten, ohne zu bezahlen. Oder ein anderes Beispiel: Im Urlaub haben Sie vielleicht schon Automechaniker oder Straßenhändler erlebt, die Sie nicht übers Ohr gehauen haben, dabei hatten Sie nicht die Möglichkeit, sie für ihre Ehrlichkeit zu belohnen, indem Sie zu ihrem guten Ruf beigetragen hätten – was schon deshalb nicht ging, weil Sie den Namen der türkischen Werkstatt nicht einmal buchstabieren könnten und den Namen der Dame, die Ihnen in Kambodscha die Nudeln verkauft hat und womöglich jeden Tag an einer anderen Stelle steht, nicht kennen.
    Vor allem aber kann es in einer Welt, die aus lauter egoistischen Individuen besteht, einen solchen unsichtbaren Belohnungs- und Sanktionsmechanismus gar nicht geben . Immerhin kostet es Zeit und Energie, andere für ihr Verhalten zu belohnen oder zu bestrafen. Von dem verbesserten Verhalten profitieren aber nicht nur diejenigen, die es tun, sondern auch jeder andere. Wenn wir zu den oben geschilderten Beispielen zurückkehren, wenn also ein Taxifahrer einen flüchtigen Kunden verfolgt und zur Rede stellt, so riskiert er dabei einen Strafzettel für falsches Parken, oder ihm wird gar das Taxi geklaut. Aber was hat er von der Läuterung eines Passagiers, den er womöglich nie wiedersieht? Sie als Tourist würde es Zeit und Kraft kosten, Werbung für die ehrliche türkische Werkstatt zu machen. Aber warum sollten Sie das tun, wo Sie doch wahrscheinlich nie wieder in diesen Teil der Welt kommen? Als selbstsüchtiges Individuum wartet man doch wohl einfach ab, bis ein Dummkopf daherkommt, der seine Zeit und Kraft darauf verwendet, dem flüchtigen Taxipassagier oder dem ausnehmend ehrlichen Werkstattbesitzer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn aber jeder so egoistisch wäre, würde auch jeder so handeln. Folglich würde

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