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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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kein Mensch andere für ihr gutes oder schlechtes Benehmen belohnen oder bestrafen. Anders ausgedrückt: Die unsichtbaren Sanktionen, die den Verfechtern der freien Marktwirtschaft zufolge Moral nur optisch vortäuschen, kann es nur geben, weil wir eben nicht so egoistisch und unmoralisch sind, wie sie behaupten.
    Moral ist keine optische Täuschung. Wenn Menschen selbstlos handeln, sei es, dass sie ihre Kunden nicht übers Ohr hauen, sei es, dass sie hart arbeiten, obwohl niemand sie dabei beobachtet, oder sei es, dass sie trotz schlechter Bezahlung als Beamte allen Bestechungsversuchen widerstehen, so tun das viele, wenn auch nicht alle, weil sie aufrichtig daran glauben, das Richtige zu tun. Unsichtbare positive oder negative Sanktionen spielen eine Rolle, erklären aber nicht alle – meiner Ansicht nach nicht annähernd alle – selbstlosen Verhaltensweisen, und sei es nur aus dem schlichten Grund, dass es sie gar nicht gäbe, wenn wir gänzlich egoistische Wesen wären. Entgegen Maggie Thatchers Einlassung, dass es »so etwas wie eine Gesellschaft nicht gibt; es gibt einzelne Männer und Frauen, und es gibt Familien« waren Menschen nie atomistische Egoisten, unabhängig von jeglicher Gesellschaft. Wir werden in eine Gesellschaft mit einem Moralkodex hineingeboren und internalisieren diesen Moralkodex während unserer Sozialisation.
    Damit will ich nicht bestreiten, dass Selbstsucht eine der wichtigsten menschlichen Triebfedern ist. Wenn jedoch jeder nur sein eigenes Interesse im Blick hätte, wäre bereits Chaos über die Welt gekommen, da im Handel zu viel betrogen und in der Produktion zu viel gefaulenzt würde. Wenn wir unser Wirtschaftssystem auf einer solchen Annahme aufbauen würden, käme nicht eine höhere, sondern eine niedrigere Effizienz dabei heraus. Die Menschen würden spüren, dass man ihnen als moralischem Subjekt nicht vertraut, und mithin auch nicht moralisch handeln. In der Folge müsste enorm viel Zeit darauf verwendet werden, die Ressourcen zu überwachen und die Missetäter zu bestrafen. Wenn wir das Schlimmste von den Menschen erwarten, bekommen wir es auch.

Sechs: Größere makroökonomische Stabilität hat die Weltwirtschaft nicht stabiler gemacht.

Was sie uns erzählen

    Bis in die Siebzigerjahre war die Inflation der größte Feind der Wirtschaft. Viele Länder litten unter katastrophaler Hyperinflation. Und auch wenn die Geldentwertung solche Dimensionen nicht erreichte, destabilisierte die hohe und schwankende Inflation die Wirtschaft, sodass Investitionen und damit Wachstum ausblieben. Glücklicherweise wurde die Bestie Inflation in den Neunzigerjahren besiegt. Zu verdanken war das einem strengeren Umgang mit staatlichen Haushaltsdefiziten und der Gründung politisch unabhängiger Zentralbanken, die sich völlig auf die Inflationskontrolle konzentrieren konnten. Da wirtschaftliche Stabilität für langfristige Investitionen und damit für Wachstum unabdingbar ist, hat die Zähmung der Bestie Inflation die Basis für langfristigen Wohlstand gelegt.

Was sie uns verschweigen

    Obwohl die Inflation besiegt wurde, ist die Weltwirtschaft erheblich unsicherer geworden. Bei all dem Enthusiasmus darüber, dass man in den letzten drei Jahrzehnten die Preisschwankungen in den Griff bekommen hat, wird gern übersehen, wie unglaublich instabil in der gleichen Zeit die Wirtschaft rund um den Erdball geworden ist. Abgesehen von der globalen Krise 2008 gab es zahlreiche Finanzkrisen, die mit Überschuldung, Bankrott oder Arbeitslosigkeit das Leben vieler Menschen zerstört haben. Da das Hauptaugenmerk auf der Inflation lag, hat man sich weniger mit der Vollbeschäftigung und dem Wirtschaftswachstum befasst. Arbeitsverhältnisse wurden im Namen der »Arbeitsmarktflexibilität« immer unsicherer und mit ihnen das Leben der Menschen. Die Preisstabilität gilt zwar als Voraussetzung für Wachstum, doch die Politik, mit der eine geringere Inflation erreicht werden sollte, hat seit den Neunzigerjahren, seit also die Inflation als besiegt gilt, nur ein schwaches Wachstum hervorgebracht.

Weil da das Geld ist – oder nicht?

    Im Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet mit seiner Kohle- und Stahlindustrie. Grund war, dass die Deutschen seit 1922 mit den Reparationszahlungen, die ihnen nach dem Ersten Weltkrieg vom Versailler Vertrag auferlegt worden waren, deutlich in Verzug waren.
    Wäre es ihnen ums Geld gegangen, hätten die Franzosen und Belgier wohl nicht die

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