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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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zusammenhängt, wie viele Staaten Bankenkrisen erleiden. Diese zunehmende internationale Mobilität ist ein zentrales Ziel, das Marktliberale anstreben, weil der Kapitaleinsatz effizienter wird, wenn sich das Kapital freier über Grenzen hinweg bewegen kann (siehe Nr. 22). Deshalb haben sie sich rund um den Erdball dafür eingesetzt, die Kapitalmärkte zu öffnen, auch wenn sie diese Haltung im Hinblick auf die Entwicklungsländer in jüngster Zeit abgeschwächt haben.
    Auch die sinkende Arbeitsplatzsicherheit ist eine direkte Folge der Marktliberalisierung. Die Unsicherheit, die sich in den Achtzigerjahren in den reichen Ländern in einer hohen Arbeitslosigkeit äußerte, war eine Folge strenger makroökonomischer Maßnahmen gegen die Inflation. Im Lauf der Neunzigerjahre und bis zum Ausbruch der Krise 2008 sank zwar die Arbeitslosenquote, doch gleichzeitig wuchs die Wahrscheinlichkeit, den Job wider Willen zu verlieren, ebenso wie der Anteil befristeter Verträge. Zunehmend wurden Arbeitsplätze umstrukturiert, und die Arbeitsintensität stieg – allesamt Folgen veränderter Arbeitsmarktgesetze, die auf eine Arbeitsmarktflexibilisierung und somit eine bessere wirtschaftliche Effizienz abzielten.
    Das Maßnahmenpaket zugunsten eines freien Marktes, oft auch als »neoliberales Paket« bezeichnet, legt die Betonung auf eine niedrige Inflation, eine größere Kapitalmobilität und eine sinkende Arbeitsplatzsicherheit, die euphemistisch als Arbeitsmarktflexibilität umschrieben wird. Das liegt im Wesentlichen daran, dass das Paket auf die Interessen der Inhaber von Kapitalanlagen ausgerichtet ist. Die Inflationskontrolle ist so wichtig, weil viele dieser Anlagen nominell feste Renditen haben. Die Inflation würde diese Renditen also schmälern. Dank einer größeren Kapitalmobilität können die Finanzanleger höhere Renditen einfahren als Inhaber anderer (physischer und menschlicher) Vermögenswerte, weil sie ihre Anlagen schneller zu verlagern imstande sind (siehe Nr. 19). Eine größere Arbeitsmarktflexibilität ermöglicht aus Sicht der Finanzinvestoren eine größere Freiheit bei der Einstellung und Entlassung von Beschäftigten und damit eine schnellere Umstrukturierung von Unternehmen, die dann dank verbesserter kurzfristiger Bilanzen leichter gekauft und verkauft werden können, was wiederum einen höheren Ertrag mit sich bringt (siehe Nr. 2).
    Trotz ihrer negativen Auswirkungen auf die finanzielle Stabilität und die Arbeitsplatzsicherheit hätten Maßnahmen zugunsten einer größeren Preisstabilität durchaus ihre Berechtigung gehabt, wenn sie Investitionen und damit das Wachstum angekurbelt hätten, wie es die Inflationshüter voraussagten. Doch die Weltwirtschaft ist in der Niedriginflationsphase seit den Achtzigerjahren langsamer gewachsen als in der Hochinflationsära der Sechziger- und Siebzigerjahre, und zwar nicht zuletzt, weil die Investitionen in den meisten Ländern gesunken sind (siehe Nr. 13). Sogar in den reichen Ländern fiel seit den Neunzigerjahren, in denen die Bestie Inflation gezähmt wurde, das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von 3,2 Prozent in den Sechziger- und Siebzigerjahren auf 1,4 Prozent zwischen 1990 und 2009.
    Alles in allem ist eine Inflation auf niedrigem bis moderatem Niveau nicht so gefährlich, wie Marktliberale es behaupten. Versuche, die Preissteigerung auf ein sehr niedriges Niveau zu senken, haben Investitionen und Wachstum vermindert, völlig im Widerspruch zu der Behauptung, dass eine größere wirtschaftliche Stabilität, die mit niedriger Inflation einhergeht, Investitionen und somit Wachstum ankurbeln würde. Vor allem hat die niedrige Inflation den wenigsten von uns echte wirtschaftliche Stabilität beschert. Die Liberalisierung von Kapital und Arbeitsmärkten, integraler Bestandteil des Maßnahmenpakets für den freien Markt mit seinem Schlüsselelement Inflationskontrolle, hat die finanzielle Instabilität und die Arbeitsplatzunsicherheit verstärkt und damit für die meisten von uns Unsicherheit mit sich gebracht. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hat sich die angebliche wachstumsbefördernde Wirkung der Inflationskontrolle nicht eingestellt.
    Die Besessenheit mit der Inflation sollte endlich ein Ende haben. Die Inflation ist eine Art Buhmann, eine Rechtfertigung für eine Politik, von der überwiegend Finanzinvestoren profitieren, und das auf Kosten der langfristigen Stabilität, des Wirtschaftswachstums und der Zufriedenheit der Menschen.

Sieben:

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