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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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Von Mitte der Siebziger- bis Ende der Achtzigerjahre, als die Inflation in vielen Ländern anzog, stieg der Anteil der Länder mit einer Bankenkrise auf 5 bis 10 Prozent, gemessen an ihrem Anteil am Welteinkommen scheinbar ein Beweis für die inflationszentrische Weltsicht. Doch Mitte der Neunzigerjahre, als wir die Bestie Inflation angeblich gezähmt und das schwer fassbare Ziel ökonomischer Stabilität erreicht hatten, schnellte der Anteil von Staaten, die eine Bankenkrise erlebten, auf etwa 20 Prozent hoch. Vor und nach 2005 fiel er ein paar Jahre lang auf null, kletterte nach der globalen Finanzkrise 2008 aber wieder auf 35 Prozent (und wird, während ich diese Zeilen schreibe, also Anfang 2010, wahrscheinlich weiter steigen). 6
    Instabil ist die Welt in den letzten drei Jahrzehnten auch in anderer Hinsicht geworden: Die Jobunsicherheit hat für viele Menschen zugenommen. In den Entwicklungsländern war die Arbeitsplatzsicherheit immer relativ gering, doch der Anteil unsicherer Jobs auf dem sogenannten »informellen Sektor« – in nichtregistrierten Firmen, die keine Steuern zahlen und keinen Gesetzen gehorchen, auch nicht denen der Arbeitsplatzsicherheit – hat in diesem Zeitraum in vielen Entwicklungsländern weiter zugenommen. Das war eine Folge der voreiligen Handelsliberalisierung, die viele sichere, »formale« Arbeitsplätze in den jeweiligen Branchen vernichtete. Auch in den reichen Ländern sinkt seit den Achtzigerjahren die Arbeitsplatzsicherheit. Das liegt an der, verglichen mit den Fünfziger- bis Siebzigerjahren, steigenden Arbeitslosigkeit, die überwiegend aus der restriktiven makroökonomischen Politik und dem Primat der Inflationskontrolle resultiert. Obwohl seit den Neunzigern die Arbeitslosigkeit gesunken ist, werden die Jobs im Vergleich zur Zeit vor 1980 immer unsicherer.
    Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist in den meisten reichen Ländern der Anteil der befristeten Arbeitsverträge gestiegen, wenn auch nicht so stark, wie viele annehmen. Zweitens verweilen zwar diejenigen, die ihren Job behalten, fast so lange auf ihrem Arbeitsplatz wie Beschäftigte vor den Achtzigerjahren, doch immer häufiger beenden die Beschäftigten das Arbeitsverhältnis nicht aus freien Stücken, zumindest in einigen Ländern, insbesondere den USA. Drittens sind, besonders in Großbritannien und den USA, Arbeitsplätze, die noch bis in die Achtzigerjahre hinein überwiegend sicher waren – im Management, in Kirchen und Universitäten -, seit den Neunzigerjahren unsicherer geworden. Viertens sind auch Arbeitsplätze, die sicher geblieben sind, von den Anforderungen und der Arbeitsintensität her häufiger und umfangreicheren Veränderungen unterworfen, sehr oft zum Negativen. Laut einer Umfrage, die 1999 für die Joseph Rowntree Foundation durchgeführt wurde, eine nach dem Menschenfreund und Quäker benannte britische Stiftung für sozialpolitische Forschung, gaben fast zwei Drittel der britischen Arbeiter an, dass sie in den vergangenen fünf Jahren eine Zunahme des Arbeitstempos und der Arbeitsintensität erlebt hatten. Und nicht zuletzt wurde in vielen reichen Ländern, wiederum nicht in allen, der Wohlfahrtsstaat seit den Achtzigerjahren beschnitten, sodass die Menschen auch dann größere Unsicherheit verspüren, wenn die objektive Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzverlustes unverändert blieb.
    Worauf es hier ankommt: Die Preisstabilität ist nur ein Indikator für wirtschaftliche Stabilität. Für die wenigsten ist sie der wichtigste. Destabilisierend wirkt es im Leben der meisten Menschen vor allem, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn ihr Job radikal umgestaltet wird oder wenn sie in einer Finanzkrise ihr Haus verlieren, nicht etwa, wenn die Preise steigen, es sei denn, dies geschieht auf hyperinflationärem Niveau. Hand aufs Herz: Merken Sie wirklich den Unterschied zwischen vier Prozent Inflation und zwei Prozent? Die Zähmung des Biestes Inflation hat den meisten Menschen deshalb nicht das Gefühl von Stabilität gebracht, das die Recken im Kampf gegen die Bestie versprachen.
    Dass Preisstabilität herrscht, also eine niedrige Inflation, und gleichzeitig andere Formen der wirtschaftlichen Instabilität zunehmen, etwa Bankenkrisen und die Arbeitsplatzunsicherheit, ist nun aber kein Zufall. Beides ist fest eingeschnürt in das politische Paket für den freien Markt.
    In der oben zitierten Studie zeigen Rogoff und Reinhart auf, dass es mit dem Grad der internationalen Kapitalmobilität

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