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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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sich meist dann zu einem Weltkonzern mit Niederlassungen im Ausland, wenn es über technische und/oder organisatorische Kompetenzen verfügt, die den Firmen in den Gastländern abgehen. Diese Kompetenzen betreffen meist Menschen (zum Beispiel Manager, Ingenieure, Facharbeiter), die Organisation (interne Unternehmensregeln, Organisationsabläufe oder das »institutionelle Gedächtnis«) sowie Netzwerke mit nahestehenden Firmen (Lieferanten, Geldgeber, Industrieverbände oder sogar Seilschaften über Unternehmensgrenzen hinweg). Das alles lässt sich nicht so leicht ins Ausland transferieren.
    Während die meisten Maschinen leicht transportiert werden können, ist es schon erheblich teurer, Facharbeiter oder Manager mitzunehmen. Noch schwieriger wird es, wenn es an organisatorische Abläufe oder Unternehmensnetzwerke geht. Als beispielsweise in den Achtzigerjahren die japanischen Autokonzerne damit begannen, Tochterunternehmen in Südostasien zu gründen, baten sie ihre Zulieferer, ebenfalls Zweigbetriebe aufzumachen, da sie verlässliche Partner brauchten. Diese immateriellen Kompetenzen, die sich in Menschen, Organisation und Netzwerken manifestieren, funktionieren zudem häufig nur in der geeigneten institutionellen Umgebung (Rechtssystem, informelle Regeln, Unternehmenskultur). Ein Konzern, so mächtig er auch sein mag, kann sein institutionelles Umfeld nicht ins Ausland mitnehmen.
    Aus all diesen Gründen bleiben die besonders anspruchsvollen Aktivitäten, die auf ein hohes Maß menschlicher und organisatorischer Kompetenz sowie eine gute institutionelle Infrastruktur angewiesen sind, eher im Stammland. Die Fokussierung auf das Herkunftsland eines Konzerns ist demnach nicht nur auf die emotionale Verbundenheit und historische Ursachen zurückzuführen, sondern hat auch konkrete wirtschaftliche Gründe.

»Der Prinz der Dunkelheit« ändert seine Meinung

    Lord Peter Mandelson, während ich dieses Buch schreibe (Anfang 2010), Vizepremier der britischen Regierung, hängt als Politiker der Ruf eines Machiavelli an. Der Fernsehproduzent und Enkel des hoch angesehenen Labour-Politikers Herbert Morrison stand als führender Imageberater hinter dem Aufstieg von New Labour unter Tony Blair. Seine berühmtberüchtigte Fähigkeit, Veränderungen der politischen Stimmung zu spüren, zu nutzen und effektive Medienkampagnen daraus abzuleiten, verband sich mit einer Skrupellosigkeit, die ihm den Spitznamen »Prinz der Dunkelheit« einbrachte.
    Nach einer turbulenten, von den Medien intensiv begleiteten Karriere im britischen Kabinett, die zweimal von Rücktritten wegen mutmaßlicher Korruptionsskandale überschattet wurde, verließ Mandelson die britische Politik und wechselte nach Brüssel, wo er 2004 Handelskommissar wurde. Aufbauend auf dem Image des unternehmerfreundlichen Politikers, das er sich in seinem Intermezzo als britischer Handels- und Industrieminister im Jahr 1998 erworben hatte, erarbeitete sich Mandelson rasch den Ruf eines weltweit führenden Fürsprechers des freien Handels und der freien Investitionen.
    Es erregte daher großes Aufsehen, als Mandelson, der Anfang 2009 überraschend als Wirtschaftsminister in die britische Politik zurückgekehrt war, im September desselben Jahres in einem Interview mit dem Wall Street Journal die Befürchtung äußerte, »die herstellende Industrie in Großbritannien« könne infolge der freizügigen Haltung seiner Regierung gegenüber Investoren aus dem Ausland »den Kürzeren ziehen«, nicht ohne allerdings vorsorglich hinzuzufügen, dies werde »sicherlich nicht über Nacht, sondern über einen längeren Zeitraum« geschehen.
    War das eine typisch Mandelson’sche Laune? Folgte er seinem Instinkt, der ihm riet, die nationalistische Karte zu spielen? Oder hatte er nur endlich begriffen, was er und andere britische Politiker schon lange hätten merken müssen: dass es schädlich sein kann, wenn die Wirtschaft eines Landes allzu sehr in ausländischem Besitz ist?
    Nun könnte man argumentieren, nur weil ausländische Firmen den Fokus aufs Stammland richten, müsse der Staat Investitionen aus dem Ausland noch lange nicht einschränken. Denn das ausländische Unternehmen investiert zwar vielleicht nicht unbedingt in die erstrebenswertesten Bereiche, aber eine Investition ist eine Investition, steigert den Output und schafft Arbeitsplätze. Wenn man ausländische Investoren in ihrem Handeln einschränkt, indem man ihnen beispielsweise untersagt, in »strategische« Industrien zu

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