23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
ausländischen Kapital immer vorzuziehen wäre. Nicht nur die Nationalität bestimmt das Verhalten des Kapitals. Auch was für Absichten und Kompetenzen mit dem betreffenden Kapital einhergehen, spielt eine Rolle.
Stellen wir uns vor, wir wollen einen ums Überleben kämpfenden, heimischen Autobauer verkaufen. Der neue Besitzer sollte idealerweise bereit und in der Lage sein, das Unternehmen langfristig zu modernisieren. Und die technischen Möglichkeiten hat er wohl eher, wenn er sich bereits national oder international als Produzent etabliert hat, als wenn er nur das Kapital mitbringt, wie etwa eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft.
In den letzten Jahren haben solche Gesellschaften im Ankauf von Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Obwohl sie in den jeweiligen Branchen keine eigene Expertise vorzuweisen haben, könnten sie theoretisch ein Unternehmen mit einer Langzeitperspektive kaufen, Branchenfachleute als Manager einstellen und sie damit beauftragen, das Unternehmen zu modernisieren. In der Praxis jedoch haben diese Gesellschaften nicht die Absicht, die erworbene Firma langfristig aufzubauen. Sie kaufen Firmen, strukturieren sie um, um Gewinne zu machen, und verkaufen sie drei bis fünf Jahre später wieder. Angesichts dieses Zeitraums besteht eine solche Umstrukturierung meist nicht in der Verbesserung des Know-how, sondern in einer Kostenreduzierung, insbesondere durch die Entlassung von Arbeitern und das Zurückfahren von Investitionen. Langfristig verschlechtern sich damit die Perspektiven der Firma, weil ihre Fähigkeit, dauerhaft ein Produktivitätswachstum zu generieren, geschwächt wird. Im schlimmsten Fall erwirbt eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft ein Unternehmen in der Absicht, ihm seine Vermögenswerte abzuknöpfen, indem es ohne Rücksicht auf die langfristige Zukunft alles Wertvolle verkauft. Was die heute berühmtberüchtigte Phoenix Venture Holdings mit dem britischen Autobauer Rover anstellte, nachdem sie ihn BMW abgekauft hatte, ist ein klassisches Beispiel dafür. Die Inhaber der Firma, die sogenannten »Phoenix Four«, zahlten sich selber riesige Gehälter und ihren Freunden exorbitante Beraterhonorare.
Das bedeutet natürlich nicht, dass Firmen, die bereits in der entsprechenden Branche tätig sind, immer die Absicht haben, das erworbene Unternehmen langfristig zu modernisieren. Als General Motors in den zehn Jahren vor dem Bankrott 2009 mehrere kleinere ausländische Autobauer kaufte, etwa Saab aus Schweden und Daewoo aus Korea, wollte sich der Konzern vielmehr die Technik dieser Firmen einverleiben (siehe Nr. 18). Dazu kommt, dass die Grenze zwischen Industriekapital und Finanzkapital in letzter Zeit zunehmend verschwimmt, seit Industriekonzerne wie General Motors und General Electric auf dem Finanzsektor mehr Gewinne machen als im Industriebereich (siehe Nr. 22). Der Umstand, dass der Käufer in einer bestimmten Branche tätig ist, ist daher kein Garant, dass er sich langfristig in dieser Branche engagiert. 1
Wenn demnach eine ausländische Firma, die in derselben Branche tätig ist, unser heimisches Unternehmen erwerben will und ernsthaft die langfristige Entwicklung im Auge hat, ist es vielleicht sogar besser, es dieser Firma zu verkaufen als einer inländischen Kapitalbeteiligungsgesellschaft. Andererseits stehen die Chancen gut, dass die Kapitalbeteiligungsgesellschaft das Wohl der heimischen Wirtschaft im Auge hat.
Ungeachtet der Globalisierungsphrasen lässt sich aus der Herkunft einer Firma immer noch am besten ableiten, wo die hochwertigen Unternehmensbereiche wie Forschung, Entwicklung und Strategie angesiedelt werden. Weil aber die Nationalität nicht allein entscheidend ist für das Verhalten einer Firma, müssen wir auch andere Faktoren berücksichtigen: etwa, ob der Investor in der betreffenden Branche einschlägige Erfahrungen hat und wie stark er sich langfristig für das erworbene Unternehmen einsetzt. Blind ausländisches Kapital abzulehnen wäre ebenso falsch, wie es naiv wäre, eine Wirtschaftspolitik auf dem Mythos zu gründen, dass Kapital keine nationalen Wurzeln mehr hat. Lord Mandelsons jüngste Vorbehalte haben am Ende eben doch eine ernsthafte reale Grundlage.
Neun: Wir leben nicht in einem postindustriellen Zeitalter.
Was sie uns erzählen
Unsere Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. Vor allem in den reichen Ländern ist die verarbeitende Industrie, einst Motor des Kapitalismus, nicht mehr so wichtig. Da mit
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