23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
weniger als ein Drittel der Produktion außerhalb des Landes. Im Falle japanischer Firmen liegt der Anteil bei deutlich unter zehn Prozent. In Europa ist er in jüngster Zeit gestiegen, doch die Produktionsstätten liegen meist innerhalb der Europäischen Union, sodass man sie mehr als einheimische Firmen in der neuen Nation Europa verstehen kann denn als Umwandlung europäischer Unternehmen in multinationale Konzerne.
Nur wenige Konzerne sind demnach tatsächlich international ausgerichtet, die meisten produzieren überwiegend im eigenen Land. Insbesondere bei hochkarätigen Aktivitäten wie strategischen Entscheidungen sowie Forschung und Entwicklung im Spitzenbereich sind sie fest in ihren Stammländern verankert. Das Gerede von der grenzenlosen Welt ist schlichtweg übertrieben.
Warum haben Konzerne eine Vorliebe für das eigene Land?
Aber warum haben Konzerne in dieser globalisierten Welt überhaupt eine Vorliebe für ihr Stammland? Verfechtern des freien Marktes zufolge ist die Nationalität von Kapital ohne Belang und muss das auch sein, weil Konzerne ja ihren Gewinn maximieren müssen, um zu überleben. Patriotismus sei somit ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Interessanterweise würden viele Marxisten dem zustimmen. Auch sie glauben, dass Kapital bereitwillig nationale Grenzen überwindet, um höhere Gewinne zu erzielen und sich stärker zu vermehren. Die Sprache ist eine radikal andere, doch die Botschaft bleibt die gleiche: Geld ist Geld, warum also sollte sich ein Unternehmen mit einem geringeren Gewinn abgeben, nur weil es seinem Stammland nutzt?
Es gibt jedoch gute Gründe dafür, dass ein Konzern eine Vorliebe für sein Stammland hat. Erstens fühlen sich Spitzenmanager wie die meisten von uns der Gesellschaft, aus der sie kommen, verpflichtet. Dieses Pflichtgefühl kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich verschieden äußern – in Patriotismus, Gemeinschaftsgeist, noblesse oblige oder dem Wunsch, der »Gesellschaft, in der man es zu etwas gebracht hat, etwas zurückzugeben«. Doch es ist da. Und insofern die meisten Topentscheidungsträger in den meisten Konzernen Bürger des Stammlandes sind, lassen sie sich in ihren Entscheidungen von ihren Gefühlen gegenüber diesem Land beeinflussen. Verfechter der freien Marktwirtschaft leugnen zwar jegliche Motivation jenseits des reinen Eigennutzes, doch »moralische« Motive sind nicht zu leugnen und erheblich wichtiger, als man uns glauben machen will (siehe Nr. 5).
Zu diesen persönlichen Gefühlen von Managern kommt, dass ein Unternehmen oft handfeste historische Verpflichtungen gegenüber dem Land hat, in dem es groß geworden ist. Vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, in der Anfangsphase ihrer Entwicklung werden Unternehmen oft direkt oder indirekt mit staatlichen Geldern unterstützt (siehe Nr. 7). Viele erhalten direkte Subventionen für die Investition in Betriebsmittel, die Ausbildung von Mitarbeitern oder anderes mehr. Manchmal wird ihnen sogar mit staatlichen Bürgschaften geholfen, etwa im Fall Toyota im Jahr 1949, Volkswagen 1974 und General Motors 2009. Oder sie erhalten indirekte Subventionen in Form von Zollschutz oder gesetzlichen Monopolrechten.
Eine solche Vergangenheit wird von den Unternehmen natürlich nicht ausdrücklich erwähnt, oft sogar gezielt verschleiert, doch zwischen den jeweiligen Parteien herrscht eine stille Übereinkunft darüber, dass der Konzern aufgrund seiner historischen Verpflichtung gegenüber seinem Stammland moralisch in der Schuld steht. Inländische Firmen haben deshalb für moralisches Zureden durch Staat und Öffentlichkeit ein erheblich offeneres Ohr als ausländische. Man erwartet von ihnen, dass sie etwas für ihr Land tun, auch wenn es zumindest kurzfristig ihren Interessen zuwiderläuft und sie rechtlich nicht dazu verpflichtet sind. So wurde im Oktober 2009 berichtet, dass es der Finanzaufsichtsbehörde in Südkorea nicht gelang, Banken mit Stammsitz im Ausland dazu zu bewegen, mehr Kredite an den Mittelstand zu vergeben, obwohl sie, wie die Banken mit koreanischen Inhabern auch, beim Ausbruch der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 bereits eine Absichtserklärung unterzeichnet hatten.
So wichtig die moralischen und historischen Beweggründe auch sein mögen – die wichtigste Ursache für die Heimatverbundenheit großer Unternehmen ist wirtschaftlicher Natur: Die Kernqualifikationen lassen sich nicht so leicht über die Grenze schaffen.
Ein Unternehmen entwickelt
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