23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
investieren oder dort die Aktienmehrheit zu übernehmen, oder indem man einen Technologietransfer fordert, dann gehen ausländische Investoren schlichtweg woanders hin, und man verliert die Arbeitsplätze und den Wohlstand, den sie geschaffen hätten. Insbesondere für Entwicklungsländer, in denen nicht viele inländische Firmen vergleichbare Investitionen tätigen können, wäre es dieser Argumentation zufolge absolut unvernünftig, Kapital aus dem Ausland auszuschlagen, nur weil es von dort kommt. Selbst wenn damit nur gering qualifizierte Aktivitäten wie eine Fertigungsstraße geschaffen werden, ist man mit der Investition immer noch besser dran als ohne.
Diese Argumentation ist für sich genommen zutreffend, doch ehe wir daraus schließen, dass es keine Eigentumsbeschränkungen für Ausländer geben sollte, ist noch mehr zu bedenken. Wertpapieranlagen, also die Investition in Unternehmensanteile um eines finanziellen Gewinns willen, die mit dem unmittelbaren Management nichts zu tun haben, lassen wir einmal beiseite. Vielmehr betrachten wir direkte Investitionen aus dem Ausland, meist definiert als Erwerb von mehr als zehn Prozent der Unternehmensanteile mit dem Ziel, sich an der Leitung der Firma zu beteiligen.
Erstens müssen wir bedenken, dass viele ausländische Investitionen sogenannte »brownfield investments« sind, also der Erwerb bestehender Firmen, im Gegensatz zu »greenfield investments«, das heißt dem Aufbau neuer Produktionsanlagen. Seit den Neunzigerjahren machen die »brownfield investments« weltweit über die Hälfte der internationalen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, kurz FDI) aus. Im Jahr 2001, in der Blütezeit der internationalen Fusionen und Zukäufe, erreichten sie sogar achtzig Prozent. Das bedeutet, dass über FDI meist die Führung existierender Firmen übernommen wird und nicht etwa neue Produktion und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Manchmal bringen die neuen Besitzer bessere Management- und Technikkompetenzen ein und sanieren ein angeschlagenes Unternehmen, wie wir es im Fall Nissan unter Carlos Ghosn gesehen haben. Oft jedoch wird eine Firma nur erworben, um Kompetenzen zu nutzen, die dort bereits vorhanden sind. Und, was noch wichtiger ist, wenn eine Firma erst von einem international tätigen Unternehmen aufgekauft wurde, zieht diese infolge ihrer Vorliebe fürs Stammland langfristig eine gläserne Decke ein, die festlegt, wie weit das Tochterunternehmen in der internen Hackordnung des Weltkonzerns nach oben kommen darf. Und auch im Fall eines »greenfield investment« ist die Fokussierung aufs Stammland ein ernst zu nehmender Faktor. Zwar schafft eine solche Investition neue Produktionsmöglichkeiten, was per Definition besser ist als die Alternative, also keine Investition. Doch bevor die verantwortlichen Politiker ihre Zustimmung geben, müssen sie sich die Frage stellen, wie sich das auf die künftige Entwicklung ihrer heimischen Wirtschaft auswirken wird. Unterschiedliche Aktivitäten bergen ein unterschiedliches Potenzial für technische Innovation und Produktivitätswachstum. Deshalb beeinflussen Entscheidungen in der Gegenwart künftige Aktivitäten und deren Nutzen. Wir können nicht so tun, als wäre es egal, ob man Kartoffelchips oder Mikrochips produziert, so eine Redensart unter amerikanischen Industriepolitikexperten in den Achtzigerjahren. Und die Wahrscheinlichkeit, dass eine ausländische Firma Kartoffelchips herstellt statt Mikrochips, ist hoch.
Vor diesem Hintergrund ist es insbesondere für ein Entwicklungsland, dessen Firmen noch rückständig sind, womöglich besser, die FDI zumindest in einigen Branchen zu beschränken und die heimischen Unternehmen so weit zu unterstützen, dass sie als Investoren eine glaubwürdige Alternative zu ausländischen Firmen werden.
Dadurch verliert das Land zwar kurzfristig Investitionen, sichert sich aber langfristig im Inland mehr unternehmerische Spitzentechnologie-Aktivitäten. Oder, noch besser, die Regierung dieses Entwicklungslands lässt Investitionen aus dem Ausland zu, allerdings unter bestimmten Bedingungen, die es dem Land erlauben, die Kompetenzen inländischer Firmen schneller zu entwickeln, etwa durch Joint Ventures, die den Transfer von Managementtechniken befördern, durch einen aktiveren Technologietransfer oder die Schulung von Arbeitern.
Dass ausländisches Kapital für ein Land wahrscheinlich weniger gut ist als inländisches, heißt allerdings nicht, dass dieses dem
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