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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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Beispiele dafür genannt, wie dieser »Fluch« umgekehrt äußerst positiv wirken kann.
    Zweitens: Nicht nur die Natur Afrikas, sondern auch seine Geschichte hemmt den Kontinent in seiner Entwicklung. Afrikanische Nationen sind ethnisch extrem zersplittert, wodurch unter den Menschen Misstrauen entsteht, was wiederum den Handel erschwert und verteuert. Es heißt, ethnische Vielfalt könne zu gewaltsamen Konflikten führen, insbesondere zwischen gleich starken, großen Gruppierungen (eher als unter vielen kleinen Gruppierungen, da diese schwer zu organisieren sind). Es wird angenommen, dass die Kolonialgeschichte in den meisten afrikanischen Ländern für die unzureichenden Institutionen verantwortlich ist, weil die Kolonisten sich nicht in Ländern mit derart vielen Tropenkrankheiten ansiedeln wollten (es gibt also eine Verbindung zwischen Klima und Institutionen) und daher lediglich die zur Ausbeutung der Ressourcen notwendigen Strukturen aufbauten. Zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft indes wurde nichts unternommen. Einige gehen sogar so weit zu behaupten, die afrikanische Kultur sei Gift für die wirtschaftliche Entwicklung – Afrikaner scheuen harte Arbeit, machen keine Pläne für ihre Zukunft und können nicht zusammenarbeiten. 2
    Wenn man all das zusammennimmt, erscheinen die Zukunftsaussichten Afrikas düster. Für einige dieser strukturellen Hemmnisse scheint jede Lösung entweder unerreichbar oder inakzeptabel. Wenn der fehlende Meerzugang, die Nähe zum Äquator und die schlechte Nachbarschaft Uganda an seiner Entwicklung hindern, was sollte das Land dann tun? Ein Land physisch zu verschieben ist keine Option, also ist die einzig mögliche Antwort der Kolonialismus. Das würde bedeuten: Uganda müsste beispielsweise Norwegen besetzen und alle Norweger nach Uganda umsiedeln. Wenn zu viele ethnische Gruppen innerhalb eines Landes schlecht für die Entwicklung sind, sollte dann Tansania, wo eine ethnische Vielfalt wie in kaum einem anderen Land dieser Erde herrscht, ethnische Säuberungen durchführen? Wenn zu viele natürliche Ressourcen das Wachstum hemmen, sollte dann die Demokratische Republik Kongo diejenigen Teile seines Staatsgebiets, wo die größten Mineralvorkommen liegen, beispielsweise an Taiwan verkaufen, um diesem Land den Schwarzen Peter zuzuschieben? Was sollte Mosambik tun, wenn seine Kolonialgeschichte korrupte Institutionen hinterlassen hat? Eine Zeitmaschine erfinden und diesen Missstand beheben? Wenn Kamerun eine Kultur hat, die schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung ist, sollte es seine Bevölkerung dann einer Massengehirnwäsche unterziehen und die Menschen in Umerziehungslager stecken, wie es die Roten Khmer in Kambodscha getan haben?
    Sämtliche dieser politischen Lösungen sind entweder physikalisch unmöglich (ein Land zu verschieben oder die Erfindung einer Zeitmaschine) oder politisch und moralisch inakzeptabel (Besetzung eines anderen Landes, ethnische Säuberungen, Umerziehungslager). Deshalb fordern diejenigen, die an den Einfluss der strukturellen Hemmnisse glauben, Extremlösungen jedoch ablehnen, dass man afrikanischen Ländern eine Art »Behindertenbonus« zugestehen solle, etwa durch ausländische Hilfe und zusätzliche Handelshilfen (reiche Länder könnten beispielsweise ihre landwirtschaftlichen Schutzbestimmungen exklusiv für Afrika und andere ähnlich arme und strukturell benachteiligte Länder lockern).
    Gibt es denn für die künftige Entwicklung Afrikas keinen anderen Weg, als dieses Schicksal zu akzeptieren und sich auf ausländische Hilfe zu verlassen? Können afrikanische Länder wirklich nicht darauf hoffen, einmal auf eigenen Füßen zu stehen?

Eine afrikanische Wachstumstragödie?

    Bevor wir versuchen, die Tragödie des afrikanischen Wirtschaftswachstums zu erklären, und die Möglichkeiten ihrer Überwindung ausloten, müssen wir die Frage stellen, ob es eine solche Tragödie überhaupt gibt. Die Antwort lautet »Nein«. Das mangelnde Wachstum in der Region ist nicht chronisch.
    Während der Sechziger- und Siebzigerjahre wies das Pro-Kopf-Einkommen im subsaharischen Afrika recht ansehnliche Zuwachsraten auf. Mit etwa 1,6 Prozent war es zwar keinesfalls mit dem »Wirtschaftswunder« Ostasiens (5 bis 6 Prozent) und nicht einmal mit Lateinamerika (rund 3 Prozent) zu vergleichen, doch war dies auch keine Wachstumsrate, derer man sich hätte schämen müssen: Es entspricht ungefähr den Zahlen der heutigen reichen Länder während der industriellen

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