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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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vielleicht plausibel, doch wenn Nähe allein eine bessere Entscheidung garantierte, würde kein Unternehmen jemals eine falsche Entscheidung treffen. Manchmal kann die direkte Nähe auch den sachlichen Blick auf das Geschehen verstellen. Das ist der Grund dafür, warum viele wirtschaftliche Entscheidungen, die die Entscheidungsträger selbst für Geniestreiche halten, von anderen mit Skepsis betrachtet und oft rundheraus abgelehnt werden. Zum Beispiel schluckte die Internetfirma AOL im Jahr 2000 die Mediengruppe Time Warner. Trotz der tiefen Skepsis vieler Außenstehender bezeichnete der damalige AOL-Vorsitzende dies als »historische Fusion«, welche »die Internet- und Medienlandschaft« verändern werde. Nach und nach erwies sich die historische Fusion als spektakulärer Fehlschlag, was schließlich so weit ging, dass Jerry Levin, der Chef von Time Warner zum Zeitpunkt der Fusion, im Januar 2010 einräumte, es habe sich um »das schlechteste Geschäft des Jahrhunderts« gehandelt.
    Man kann also nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Regierungsentscheidung, die eine Firma betrifft, schlechter sein muss als eine Entscheidung der Firma selbst. Freilich ist es wichtig, immer gut informiert zu sein. Eine Regierung kann dafür sorgen, dass sie an entsprechende Informationen gelangt, die für ihre Wirtschaftspolitik von Bedeutung sind. Tatsächlich verfügen diejenigen Regierungen, die erfolgreich potenzielle Gewinner fördern, in der Regel über mehr und bessere Informationskanäle und pflegen einen intensiveren Austausch mit der Wirtschaft.
    Eine naheliegende Möglichkeit, wie eine Regierung sicherstellen kann, in wirtschaftlichen Angelegenheiten stets gut informiert zu sein, ist die Gründung eines staatseigenen Unternehmens, das vom Staat auch selbst betrieben wird. Länder wie Singapur, Frankreich, Österreich, Norwegen und Finnland haben diesen Weg sehr konsequent verfolgt. Eine Regierung kann aber auch per Gesetz verlangen, dass Firmen in staatlich subventionierten Industriezweigen regelmäßig über bestimmte Schlüsselfaktoren ihrer Unternehmen Bericht erstatten. Die koreanische Regierung bediente sich in den Siebzigerjahren sehr umfassend dieser Methode, als sie einige neue Industrien wie Schiffbau, Stahl und Elektronik großzügig mit Finanzmitteln unterstützte. Eine weitere Möglichkeit ist es, informelle Netze zwischen Regierungsbeamten und Wirtschaftseliten zu nutzen, damit die Regierungsvertreter ein gutes Verständnis für wirtschaftliche Situationen entwickeln. Sich ausschließlich auf diesen Kanal zu verlassen, kann aber leicht zu Amigoseilschaften und Korruption führen. Das politische Netz, das sich um die Absolventen der französischen ENA (École Nationale d’Administration) spinnt, ist hier wohl das berühmteste Beispiel und zeigt sowohl die positiven als auch die negativen Seiten solcher Praktiken. Irgendwo zwischen den beiden Extremen gesetzlicher Forderungen und persönlicher Netzwerke haben die Japaner ihre »Beratungsgremien« angesiedelt, in denen hohe Regierungsbeamte und führende Köpfe der Wirtschaft auf formaler Ebene regelmäßig Informationen austauschen. Das Ganze findet in Gegenwart von Beobachtern aus Wissenschaft und Medien statt.
    Ein weiteres Manko der herrschenden Wirtschaftslehre ist, dass sie den möglichen Konflikt zwischen wirtschaftlichen und nationalen Interessen nicht vorsieht. Es mag zutreffen, dass Geschäftsleute über ihre eigenen Angelegenheiten in der Regel besser Bescheid wissen als Regierungsbeamte (wenn auch nicht immer, wie oben erläutert) und deshalb in der Lage sind, Entscheidungen zu fällen, die den Interessen ihrer Unternehmen am besten dienlich sind, doch gibt es keine Garantie dafür, dass diese Entscheidungen auch gut für die Volkswirtschaft sind. Als LG in den Sechzigerjahren ins Textilgeschäft einsteigen wollte, wollten die Manager das Beste für ihr Unternehmen. Die koreanische Regierung drängte die Firma jedoch dazu, Elektrokabel herzustellen, was schließlich dazu führte, dass LG zu einem gigantischen Elektronikkonzern heranwachsen konnte. Den nationalen Interessen – und langfristig auch den Interessen von LG – wurde dieser Weg am besten gerecht. Mit anderen Worten: Eine Regierung, die auf bestimmte Gewinner setzt, verletzt möglicherweise einzelne wirtschaftliche Interessen, kann jedoch unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten bessere Ergebnisse erzielen (siehe Nr. 18).

Laufend werden neue Gewinner gesucht

    Bisher habe

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