23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
den ich einmal auf einem Plakat der British Airways in New York las und der den Flugkunden riet, Concorde zu buchen, um »noch vor dem Abflug« ans Ziel zu gelangen (die Concorde brauchte für eine Atlantiküberquerung drei Stunden, während die Zeitverschiebung zwischen London und New York fünf Stunden beträgt). Wenn man jedoch das gesamte Geld einrechnet, das allein in die Entwicklung floss, und die Subventionen bedenkt, die British Airways und Air France von den beiden Regierungen zur Verfügung gestellt wurden, um die Flugzeuge überhaupt zu kaufen, dann war die Concorde ein gewaltiger wirtschaftlicher Fehlschlag.
Ein noch drastischeres Beispiel dafür, wie eine Regierung auf einen Verlierer setzt, weil sie den Gesetzen des Marktes vollkommen entrückt ist, ist der Fall der indonesischen Luftfahrtindustrie. Die Industrie wurde in den Siebzigerjahren aufgebaut, als das Land zu den ärmsten der Welt gehörte. Diese Entscheidung wurde nur deshalb getroffen, weil Bacharuddin Habibie, der über zwanzig Jahre lang nach Präsident Suharto zweiter Mann im Staate war (und nach dessen Fall nur knapp über ein Jahr lang selbst die Präsidentschaft übernahm), zufällig ein Luftfahrtingenieur war, der in Deutschland studiert und gearbeitet hatte.
Wenn aber sämtliche anerkannten Wirtschaftstheorien und die Beispiele aus anderen Ländern darauf hindeuten, dass Regierungen eher auf Verlierer als auf Gewinner setzen, warum war dann das wirtschaftliche Engagement der koreanischen Regierung derart erfolgreich?
Eine mögliche Erklärung ist, dass es sich bei Korea schlicht um eine Ausnahme handelt. Man könnte sagen, dass, aus welchen Gründen auch immer, die koreanischen Regierungsvertreter so außergewöhnlich begabt waren, dass sie besser als jeder andere einen potenziellen Gewinner erkennen konnten. Das würde jedoch bedeuten, dass wir Koreaner die klügsten Menschen der Geschichte sind. Als guter Koreaner hätte ich zwar nichts gegen eine Erklärung, die uns in ein derart positives Licht stellt, doch bezweifle ich, dass sich auch Nichtkoreaner davon überzeugen ließen (und das zu Recht – siehe Nr. 23).
Wie ich an anderer Stelle in diesem Buch genauer ausführe (insbesondere in Nr. 7 und Nr. 19), ist Korea ohnehin nicht das einzige Land, in dem die Regierung enormen wirtschaftlichen Spürsinn bewiesen hat. 2 Andere ostasiatische Wunder volkswirtschaften haben das Gleiche geleistet. Die koreanische Strategie, auf potenzielle Gewinner zu setzen und dabei notfalls drastische Mittel anzuwenden, wurde aus Japan übernommen. Auch die Regierungen Taiwans und Singapurs machten ihre Sache keinesfalls schlechter als ihr koreanisches Gegenstück, wenngleich sie bei den eingesetzten politischen Instrumenten doch ein wenig voneinander abwichen.
Ohnehin haben nicht nur ostasiatische Regierungen erfolgreich auf Gewinner gesetzt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formten und leiteten die Regierungen von Frankreich, Finnland, Norwegen und Österreich mit großem Erfolg die industrielle Entwicklung ihrer Länder durch Schutzbestimmungen, Subventionen und Investitionen staatlicher Unternehmen. Auch wenn die US-Regierung so tut, als wäre dies nicht der Fall, hat sie doch durch massive Unterstützung von Forschung und Entwicklung die meisten industriellen Gewinner seit dem Zweiten Weltkrieg gezielt gefördert. Die Computer-, Halbleiter-, Luftfahrt-, Internet- und Biotechnologieindustrie sind allesamt leuchtende Beispiele dafür, wie sich eine Industrie entwickeln kann, wenn der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die staatliche Wirtschaftspolitik längst noch nicht so organisiert und effektiv war wie Ende des 20. Jahrhunderts, förderten praktisch sämtliche der heutigen reichen Länder einzelne Industrien ganz gezielt durch Zollbestimmungen, Subventionen, Lizenzvorschriften, Gesetze und andere politische Instrumente – und das zum Teil mit beachtlichem Erfolg.
Wenn Regierungen mit solcher Regelmäßigkeit Gewinner erkennen und auch auf sie setzen, kann man sich natürlich fragen, ob mit der herrschenden Wirtschaftslehre etwas nicht stimmt, besagt diese doch, dass so etwas unmöglich ist.
Ja, ich würde in der Tat sagen, dass vieles an dieser Theorie falsch ist.
Zunächst geht diese Theorie implizit davon aus, dass diejenigen, die am nächsten am Geschehen dran sind, die besten Informationen haben und deshalb die besten Entscheidungen treffen. Das klingt
Weitere Kostenlose Bücher