23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
den die investierende Klasse am Gesamteinkommen habe.
Seit den Achtzigerjahren herrschten in den meisten (wenn nicht allen) dieser Länder zumeist Regierungen, die für eine aufwärts gerichtete Einkommensumverteilung standen. Selbst die sogenannten linken Parteien wie die britische New Labour unter Tony Blair oder die amerikanischen Demokraten unter Bill Clinton befürworteten offen eine solche Strategie – der Höhepunkt war, als Bill Clinton 1996 seine Wohlfahrtsreformen einführte und erklärte, er wolle dem Sozialstaat in seiner bisherigen Form ein Ende setzen.
In der Praxis jedoch zeigte sich, dass es weitaus schwieriger war, den Wohlfahrtsstaat zu beschneiden, als anfänglich angenommen (siehe Nr. 21). Dennoch wurden die Ausgaben deutlich begrenzt, trotz des strukturellen Drucks durch eine alternde Gesellschaft. Steigende Altersrenten, Behindertenzuschüsse, Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge und andere Ausgaben, die direkt dem älteren Teil der Bevölkerung zugute kommen, hätten eigentlich höhere Sozialausgaben erfordert.
Darüber hinaus wurde in den meisten Ländern eine Politik betrieben, die in letzter Konsequenz dazu führte, dass das Einkommen von den Armen auf die Reichen umverteilt wurde. So gab es etwa Steuererleichterungen für die Reichen – die Steuersätze für Spitzeneinkommen wurden gesenkt. Die Deregulierung der Finanzwelt schuf ungeheure Möglichkeiten für Spekulationsgewinne und bescherte den Topmanagern und Finanziers astronomische Gehaltsschecks (siehe Nr. 14 und 22). Die Deregulierung in anderen Bereichen verhalf den Unternehmen zu höheren Profiten, nicht zuletzt, weil sie dadurch ihre Monopolstellungen besser ausnutzen konnten, ungestraft die Umwelt vergiften und problemlos ihre Beschäftigten entlassen durften. Die zunehmende Liberalisierung des Handels und eine Zunahme ausländischer Investitionen – oder zumindest die Bedrohung, die sie darstellen – drehten die Lohnschraube weiter nach unten.
Das Ergebnis war, dass sich die Einkommensungleichheit in den meisten Ländern vergrößerte. Einem Bericht der ILO (International Labour Organization) mit dem Titel The World of Work 2008 zufolge stieg in 16 der 20 Länder, für die entsprechende Daten verfügbar waren, die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung zwischen 1990 und 2000 deutlich an. 1 Unter den verbleibenden vier verzeichnete nur die Schweiz einen signifikanten Rückgang. In der gleichen Zeit erreichte die Einkommensungleichheit in den USA, dem bereits mit Abstand reichsten Land der Erde, ein Niveau, das mit lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien, Uruguay oder Venezuela vergleichbar war. Auch in Ländern wie Finnland, Schweden und Belgien war die relative Steigerung der Einkommensungleichheit sehr hoch, doch waren dies Länder, in denen zuvor eine sehr niedrige Einkommensungleichheit geherrscht hatte – im Fall von Finnland, dessen Einkommensverteilung noch vorbildlicher als in vielen der früheren sozialistischen Staaten war, vielleicht ein wenig zu niedrig.
Nach Angaben des Economic Policy Institute (EPI), einer Mitte-links-orientierten Denkfabrik in Washington, D. C., konnte das eine Prozent der Topverdiener in den USA seinen Anteil am Volkseinkommen zwischen 1979 und 2006 (dem letzten Jahr, für welches Daten verfügbar waren) von 10 auf 22,9 Prozent mehr als verdoppeln. Die 0,1 Prozent an der Spitze schnitten sogar noch besser ab, gelang es ihnen doch, ihren Anteil von 3,5 Prozent im Jahr 1979 auf 11,6 Prozent im Jahre 2006 mehr als zu verdreifachen. Dies war hauptsächlich durch einen astronomischen Anstieg der Managergehälter im Land bedingt. Wie in der Folge der Finanzkrise des Jahres 2008 zunehmend offenkundig wird, gab es für diesen jedoch kaum eine Rechtfertigung (siehe Nr. 14). 2
Von den 65 Entwicklungs- und ehemaligen sozialistischen Ländern, die in der oben genannten ILO-Studie erfasst sind, verzeichneten in der gleichen Zeit 41 einen Anstieg der Einkommensungleichheit. Der Anteil der Länder, in denen eine zunehmende Ungleichheit herrschte, war zwar kleiner als bei den reichen Ländern, doch war die Ungleichheit in vielen dieser Länder ohnehin bereits sehr hoch, sodass die Auswirkungen einer weiteren Steigerung wesentlich schlimmer waren als in den reichen Ländern.
Wasser sickert nicht nach unten durch
Diese ganze aufwärts gerichtete Neuverteilung der Volkseinkommen wäre gerechtfertigt gewesen, hätte sie zu einem beschleunigten Wachstum geführt. Tatsache ist jedoch, dass sich das
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