Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
Vom Netzwerk:
Prozent aller nicht in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte selbstständig (innerhalb der Landwirtschaft ist dieser Anteil meist noch höher). In einigen der ärmsten Länder der Welt ist der Anteil der Ein-Mann-Betriebe bisweilen sogar noch höher: 66,9 Prozent in Ghana, 75,4 Prozent in Bangladesch und in Benin sogar 88,7 Prozent. 1 In den entwickelten Ländern hingegen sind gerade 12,8 Prozent der nicht in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte selbstständig. In einigen Ländern erreicht dieser Anteil nicht einmal die 10-Prozent-Marke: 6,7 Prozent in Norwegen, 7,5 Prozent in den USA und 8,6 Prozent in Frankreich (wie es scheint, war Herrn Bushs Ausspruch ein klassisches Beispiel dafür, dass man im Glashaus nicht mit Steinen werfen sollte). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein durchschnittlicher Einwohner eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, ist in den Entwicklungsländern etwa doppelt so hoch wie in den entwickelten Ländern (30 Prozent zu 12,8 Prozent) – Bauern nicht eingerechnet (die den Prozentsatz noch erhöhen würden). Der Unterschied erhöht sich auf das Zehnfache, wenn man Bangladesch mit den USA vergleicht (7,5 Prozent zu 75,4 Prozent). Im extremsten Fall ist die Wahrscheinlichkeit, in Benin auf der Straße einem Unternehmer zu begegnen, volle 13 Mal so hoch wie in Norwegen (88,7 Prozent zu 6,7 Prozent).
    Darüber hinaus müssen diejenigen, die in den reichen Ländern ein Unternehmen betreiben, noch lange nicht so unternehmerisch sein wie ihre Kollegen in den armen Ländern. Unternehmer in Entwicklungsländern sehen sich ständig massiven Problemen gegenüber. Häufig kommt es zu Stromausfällen, die den Produktionsablauf unterbrechen. Der Zoll rückt die Einzelteile für die Reparatur einer Maschine nicht heraus, obwohl man ohnehin schon im Rückstand ist, weil es Schwierigkeiten mit der Kauferlaubnis von US-Dollars gegeben hat. Werkstoffe werden nicht rechtzeitig angeliefert, weil der Lastwagen eine Panne hat, was wiederum an den Schlaglöchern in der Straße liegt. Die kleingeistigen örtlichen Behörden ersinnen obendrein ständig neue Verordnungen und beugen das Gesetz, um Schmiergelder zu erpressen. Mit all diesen Hindernissen fertig zu werden, erfordert einen wachen Geist und großes Improvisationstalent. Angesichts solcher Probleme würde ein durchschnittlicher amerikanischer Geschäftsmann keine Woche überstehen, wenn er eine kleine Firma in Maputo oder Phnom Penh leiten müsste.
    Wir stehen also ganz offensichtlich vor einem Rätsel: Im Vergleich zu den reichen Ländern gibt es in den Entwicklungsländern (proportional gerechnet) wesentlich mehr Menschen, die unternehmerisch tätig sind. Obendrein wird das unternehmerische Geschick dort weitaus regelmäßiger und härter auf den Prüfstand gestellt als in den reichen Ländern. Wie kommt es dann, dass diese unternehmerischeren Länder trotzdem die ärmeren sind?

Große Erwartungen – hier kommen die Mikrokredite ins Spiel

    Die scheinbar grenzenlose unternehmerische Energie armer Menschen in den Entwicklungsländern ist natürlich nicht unbemerkt geblieben. Zunehmend setzt sich die Meinung durch, dass der Entwicklungsmotor in ärmeren Ländern der sogenannte informelle Sektor sein müsse. Dieser besteht aus kleinen Betrieben, die der Regierung nicht gemeldet sind.
    Die Unternehmer im informellen Sektor, so heißt es, haben nicht deshalb zu kämpfen, weil es ihnen an den nötigen Visionen mangelt, sondern weil sie kein Geld bekommen können, um ihre Visionen umzusetzen. Die normalen Banken diskriminieren sie, während die örtlichen Geldverleiher Wucherzinsen verlangen. Wenn man ihnen einen kleinen Kredit (einen sogenannten Mikrokredit) zu einem angemessenen Zinssatz gewährt, können sie einen Kiosk bauen, ein Mobiltelefon kaufen und verleihen oder ein paar Hühner anschaffen und die Eier verkaufen, um so ihre Armut zu überwinden. Da diese kleinen Unternehmen in Entwicklungsländern aber den größten Teil der Volkswirtschaften ausmachen, würde sich ihr Erfolg auch in einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum auswirken.
    Die Erfindung des Mikrokredits wird gemeinhin dem Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus zugeschrieben. Yunus gilt als öffentliches Gesicht der Mikrokreditindustrie, seit er 1983 in seinem Geburtsland Bangladesch mit der Grameen Bank Pionierarbeit geleistet hat, wenngleich es zuvor schon ähnliche Versuche gab. Ungeachtet der Tatsache, dass die Grameen Bank Kredite an arme Leute vergab, insbesondere an Frauen, die

Weitere Kostenlose Bücher