23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
Staaten und Entwicklungsländer in der Zeit von 1960 bis 1987. Daneben arbeitete er sich durch unzählige ähnliche Studien, um herauszufinden, ob Bildung das Wirtschaftswachstum tatsächlich positiv beeinflussen kann. 2 In seinem viel zitierten Artikel »Wo ist die ganze Bildung geblieben?« aus dem Jahr 2003 präsentierte er das Fazit dieser Arbeit: Es hatten sich nur sehr wenige Hinweise zur Untermauerung der These gefunden, dass ein höheres Bildungsniveau zu einem höheren Wirtschaftswachstum führt.
Und was ist mit der Wissensökonomie?
Selbst wenn der Einfluss der Bildung auf das Wirtschaftswachstum bislang eher mager ausgefallen ist, so mag man sich doch fragen, ob sich durch das Aufkommen der Wissensökonomie in jüngster Zeit nicht alles verändert hat. Wenn Ideen der wichtigste Quell des Wohlstands sind, so ließe sich argumentieren, dann wird die Bildung von nun an für die Prosperität eines Landes immer wichtiger werden.
Dagegen muss ich zunächst einwenden, dass die Wissensökonomie nichts Neues ist. In dem Sinn, dass es immer schon das verfügbare (oder mangelnde) Wissen eines Landes war, das es reich (oder arm) gemacht hat, leben wir seit jeher in einer Wissensökonomie. Im ersten Jahrtausend war China das reichste Land der Erde, weil es technisches Wissen besaß, das die anderen nicht hatten – Papier, Drucktypen, Schießpulver und der Kompass sind hier sicherlich die bekanntesten, aber bei Weitem nicht die einzigen Beispiele. Großbritannien wurde im 19. Jahrhundert durch seine weltweite Führungsrolle im Bereich der technologischen Innovation zur Hegemonialmacht. Als Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg auf einmal so arm war wie Peru und Mexiko, hätte niemand dafür plädiert, es künftig als Entwicklungsland einzustufen, da man wusste, dass die Deutschen immer noch über das technologische, organisatorische und institutionelle Wissen verfügten, welches ihr Land vor dem Krieg zu einer der bedeutendsten Industrienationen gemacht hatte. So gesehen hat sich die Bedeutung von Wissen in der jüngeren Geschichte nicht verändert.
Freilich ist der Wissensschatz, über den die Menschheit kollektiv verfügt, heute viel größer als in der Vergangenheit. Das bedeutet aber nicht, dass jedermann oder auch nur die Mehrheit der Menschen gebildeter ist als früher. Wenn überhaupt, ist die Menge des produktivitätsrelevanten Wissens, das ein durchschnittlicher Arbeitnehmer benötigt, in vielen Berufen heute sogar geringer, insbesondere in den reichen Ländern. Das mag absurd klingen, doch lassen Sie mich erklären.
Punkt eins: Durch die kontinuierliche Produktivitätssteigerung bei der Herstellung arbeitet ein großer Teil der Arbeitnehmerschaft in reichen Ländern heute in gering qualifizierten Dienstleistungsberufen, die kein besonders hohes Maß an Bildung voraussetzen – sie füllen Regale in Supermärkten, braten Burger in Schnellrestaurants und putzen Büros (siehe Nr. 3 und 9). Insoweit, als der Anteil von Menschen in solchen Berufen zunimmt, kommen wir tatsächlich mit zunehmend weniger qualifizierten Arbeitskräften aus – vorausgesetzt, uns interessieren im Zusammenhang mit der Bildung ausschließlich die Auswirkungen auf die Produktivität.
Zweitens: Infolge der wirtschaftlichen Entwicklung steckt immer mehr Wissen in den Maschinen. Das bedeutet, dass die gesamtvolkswirtschaftliche Produktivität ansteigt, obwohl der einzelne Arbeitnehmer ein geringeres Verständnis seiner Arbeit hat als sein Kollege in früheren Zeiten. Das beste Beispiel hierfür ist wohl, dass die meisten Verkäufer in reichen Ländern nicht einmal mehr rechnen zu können brauchen – eine Fähigkeit, die man für diesen Beruf in der Vergangenheit definitiv benötigte. Heutzutage erledigt eine automatische Kasse mit Barcodescanner diese Aufgabe. Ein weiteres Beispiel: Schmiede in armen Ländern, die noch selbst Werkzeuge herstellen, wissen wahrscheinlich mehr über Metalle und Legierungen als die meisten Mitarbeiter von Bosch und Black & Decker. Oder: Die Betreiber der kleinen Elektroläden, welche die Straßen armer Länder säumen, können mehr Geräte reparieren als die einzelnen Arbeitnehmer bei Samsung oder Sony.
All das ist zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass die Mechanisierung die wirksamste Methode ist, um die Produktivität zu steigern. Eine einflussreiche marxistische Denkschule vertritt jedoch die These, dass Kapitalisten ihre Arbeiter bewusst »entqualifizierten«, indem sie
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