23 Uhr, York Avenue
Wir vertrauen Ihnen.
Anderson: Danke.
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Es folgt die diktierte, unterzeichnete, beeidete und vor Zeugen abgegebene Aussage des Timothy O'Leary, Halverston Drive 648, Roslyn, New York. Niederschrift NYPD-SIS-NR 146-11 vom 7. September 1968.
»In der Nacht vom einunddreißigsten August dieses Jahres - das heißt, von Samstag auf Sonntag, vom letzten Tag im August zum ersten September, und dann kam gleich der Labour Day… dieses Wochenende war's - komm ich zum Dienst in die York Avenue 1370, wo ich von Mitternacht bis acht Uhr früh Portier bin. Meiner üblichen Gewohnheit entsprechend, traf ich ungefähr zehn Minuten früher im Haus ein. Ich hielt kurz an, um mit Ed Bakely, dem Kollegen, den ich ablöste, die Zeit zu vergleichen, und dann ging ich 'runter in den Keller. Dort haben wir drei Spinde stehen, und zwar in dem Gang, der von der Hausmeisterwohnung zu den hinteren Kellerräumen führt, wo die Heißwasserboiler und so Sachen sind. Ich zog meine Uniform an, die im Sommer bloß aus einem braunen Baumwolljackett besteht, und da ich schwarze Hosen, weißes Hemd und schwarze Fliege schon anhatte, war das Umziehen in nullkommanichts erledigt.
Ich komm' wieder 'rauf, und Ed geht 'runter, um sich umzuziehen. Während er fort war, warf ich einen Blick auf die kleine Tafel, wo wir Zettel mit Mitteilungen und so Zeug festklemmen. Ich sah, daß Dr. Rubicoff, der hat 1B, noch in seiner Ordination war und arbeitete. Und in der Wohnung von Eric Sabine, das ist 2A, würden über das Labour-Day-Wochenende zwei Freunde wohnen. Ed kam 'rauf - er trug seine Bowlingkugel in 'nem kleinen Beutel bei sich - und sagte, er wäre jetzt schleunigst unterwegs zu seiner Kegelbahn, um mit seinen Kumpels noch ein paar Partien schieben zu können, bevor die Hallen dichtmachten.
Kaum war er gegangen, und ich stand draußen auf der Straße, um ein bißchen frische Luft zu schnappen, als ein Lastwagen langsam die Straße 'runterkam - ja, aus der Richtung East End her, denn so verläuft die Straße nun mal. Zu meiner grenzenlosen Überraschung bog er gemächlich von der Straße ab und nahm Kurs auf unseren Dienstboteneingang, fuhr bis ganz nach hinten, wo er anhielt, und dann wurden Motor und Lichter abgestellt. Als er an mir vorbeirollte, sah ich, daß es eine Art Möbelwagen war… ich kann mich erinnern, ich hab' das Wort ›Möbeltransporte‹ seitlich aufgemalt gesehen, und ich nahm an, entweder wär' der Fahrer an der falschen Adresse gelandet, oder vielleicht wär' einer meiner Mieter am Übersiedeln oder erwartete irgendeine Möbellieferung, was mir aber komisch vorkam, als ich die späte Stunde bedachte … und außerdem, müssen Sie wissen, hätten wir's ja auf unserer Tafel stehen gehabt, falls irgendein Mieter eine Lieferung zu nachtschlafender Zeit erwartete.
Also schlenderte ich langsam nach hinten, wo der Lastwagen jetzt stand, eingeparkt und dunkel, und ich sag: ›Was denken Sie sich eigentlich? Was zum Teufel haben Sie in meiner Einfahrt zu suchen?‹ Kaum waren diese Worte aus meinem Mund 'raus, da spürte ich schon was im Nacken. Kalt war's, aus Metall und rund. Es hätt' auch ein Stück Rohr gewesen sein können, denk' ich mir, aber ich nahm an, es wär' eine Kanone. Ich war zwanzig Jahre bei der Polizei, und Pistolen sind mir nicht fremd.
Im gleichen Augenblick spürte ich auch schon genau die Mündung auf meinem Genick - ein kribbeliges Gefühl war das. Der Mann, der die Kanone hält, sagt ganz kühl zu mir: ›Möchtest du sterben?‹
›Nein‹, sag ich zu ihm, ›ich möcht' nicht sterben.‹ Ich blieb ruhig, verstehen Sie, aber ich war aufrichtig. ›Dann tust du jetzt einfach, was ich dir sage‹, sagte er zu mir, ›und du wirst nicht sterben.‹ Mit diesen Worten begleitet er mich vor die Dienstbotentür und schubst mich dabei mit der Mündung der Kanone, sofern das eine Kanone war, und ich glaub', es war eine. Schiebt mich zur Hintertür 'rüber, tut mir aber nicht weh dabei. Sie verstehen. In dieser ganzen Zeit war der Lastwagen dunkel und still, und ich konnte keine anderen Männer sehen. Eigentlich hatte ich bisher überhaupt niemanden gesehen - bloß die Kanone gespürt und die Stimme gehört.
Ich mußte mich neben dem Dienstboteneingang an die Wand stellen, den Körper flach an die Wand gedrückt, das Gesicht hochgereckt, die Mündung der Kanone immer noch mitten im Genick. ›Keinen Muckser machst du mir‹, sagt er.
›Keinen Muckser werden Sie hören‹, flüster' ich ihm zu. ›In Ordnung‹,
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