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23 Uhr, York Avenue

23 Uhr, York Avenue

Titel: 23 Uhr, York Avenue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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Wachtmeister?
    O'Nuska: Jawohl, Sir.
    Fineally: Ich hab' alle möglichen Geschichten über den Knaben gehört, aber ich hab' sie nie geglaubt.
    O'Nuska: Die sind alle wahr. Der Mensch kriegt öfter 'ne Belobigung als ich 'nen Kater.
    Fineally: Ich kann's noch immer nicht glauben. Er ist wirklich 'n seltenes Kaliber.
    O'Nuska: Das sagt mein Bruder auch.

69
    Es folgt die abgetippte Niederschrift NYDA-Nr. 146-121 AT einer Tonbandaufnahme (NYDA-Nr. 146-121A), die am 11. September 1968 im Mother of Mercy Hospital, New York, mitgeschnitten wurde. Der Zeuge ist Gerald Bingham sen., wohnhaft Appartement 5A, York Avenue 1370, Manhattan, New York.
    Frage: Freut mich, daß Sie wieder besser aussehen, Mr. Bingham. Wie fühlen Sie sich?
    Bingham: Oh, es geht mir schon viel besser. Die Schwellung ist zurückgegangen, und heute morgen habe ich gute Neuigkeiten erhalten. Die Ärzte sagen, daß ich das Sehvermögen meines rechten Auges nicht verlieren werde. Es mag zwar leicht beeinträchtigt bleiben, sagen sie, aber ich werde mit dem Auge sehen können.
    Frage: Das freut mich zu hören, Mr. Bingham … freut mich… kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute war.
    Bingham: Ja… nun… wissen Sie …
    Frage: Mr. Bingham, es sind nur ein paar Details Ihrer ersten Aussage, die wir gern etwas näher beleuchten würden - sofern Sie sich dazu in der Lage fühlen.
    Bingham: Aber ja doch. Mein Befinden ist ausgezeichnet. Im übrigen ist mir Ihr Besuch überaus willkommen. Sehr langweilig - immer nur so dazuliegen.
    Frage: Kann ich mir vorstellen. Nun, was wir aufklären wollen, ist, was in der Zeit um etwa drei Uhr dreißig des ersten September 1968 vorgefallen ist. Wie aus Ihrer ersten Aussage hervorgeht, befanden Sie sich um diese Zeit mit den anderen Hausbewohnern und dem Portier in der Wohnung Vier B. Sie wurden von dem Mann bewacht, der Sie zuvor in Ihrer eigenen Wohnung ins Gesicht geschlagen und mit Füßen getreten hatte. Dieser Mann trug eine Waffe. Trifft das zu?
    Bingham: Ja, das trifft zu.
    Frage: Verstehen Sie etwas von Handfeuerwaffen, Mr. Bingham?
    Bingham: Ja … ein wenig. Ich habe als Marineinfanterist in Korea gedient.
    Frage: Können Sie die Waffe näher bezeichnen, die der Mann bei sich hatte?
    Bingham: Sie sah aus wie ein amerikanischer Armeerevolver, Kaliber 11,43 Millimeter, ein »Colt« der Bauserie 1917.
    Frage: Sind Sie sicher?
    Bingham: Einigermaßen sicher, ja. Ich wurde damals auf dem Schießplatz unter anderem auch an einer solchen Waffe ausgebildet.
    Frage: Wie stand es zur fraglichen Zeit - um drei Uhr dreißig am frühen Morgen des ersten September also - um Ihre körperliche Verfassung?
    Bingham: Sie meinen, ob ich bei vollem Bewußtsein und hellwach war?
    Frage: Nun also … ja. Waren Sie das?
    Bingham: Nein. Mein Auge tat ziemlich weh, und dieser pochende Schmerz in den… nun ja, wohin er mich getreten hatte, Sie wissen schon… dieser pochende Schmerz wurde immer stärker. Man hatte mich auf das Sofa in Frau Hathways Wohnzimmer gelegt - eigentlich war's ja ein viktorianischer Liebespfühl, mit rotem Samt überzogen. Meine Frau hielt ein mit kaltem Wasser getränktes Handtuch an mein Auge, und auch Dr. Rubicoff aus dem Parterre stand mir hilfreich bei. Ich glaube, ich war zu dieser Zeit ein wenig benommen. Möglicherweise befand ich mich auch in einem leichten Schockzustand. Wissen Sie, es war nämlich das erste Mal in meinem Leben, daß ich im Zorn geschlagen worden war. Ich meine, es war überhaupt das erste Mal, daß ich tätlich angegriffen wurde. Es war ein sehr bestürzendes Erlebnis.
    Frage: Ja, Mr. Bingham, ich weiß.
    Bingham: Die Vorstellung, daß ein Mann, den ich nicht kannte, mich blutig geschlagen und verletzt und mich schließlich mit Füßen getreten hatte… um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich schämte mich so sehr. Ich weiß, das ist wahrscheinlich eine sehr sonderbare Reaktion, aber so war mir eben zumute.
    Frage: Sie schämten sich?
    Bingham: Ja. Ich empfand ein Gefühl der Scham.
    Frage: Aber weshalb in aller Welt sollten Sie sich geschämt haben? Sie hatten getan, was Sie konnten - und das war übrigens sehr viel mehr, als so mancher andere Mann getan hätte. Sie schritten unverzüglich zur Tat. Sie haben versucht, Ihre Familie zu beschützen. Sie hatten und haben also nicht den leisesten Grund, sich zu schämen.
    Bingham: Nun, aber so war mir eben zumute. Möglicherweise lag es daran, daß der Mann mit dem Revolver mich - und auch alle anderen - mit solch abgefeimter, brutaler

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