2309 - Die Augen von Charon
schaute von meiner Konsole auf. Die Majore Delazar und Gredor standen am Pult des Ortungschefs und betrachteten nachdenklich ein Holo. Gredor rief eine Vergrößerung auf, und nun wurde auch ich hellhörig.
Ich betrachtete das „Schneegestöber", das die Oberfläche der Charon-Wolke kennzeichnete. Es schienen tatsächlich von innen heraus matt illuminierte, grobkörnige Flocken zu sein, die die fast perfekte Kugel von 24 Lichtjahren Durchmesser zu einem Gebilde werden ließen, das hier im Zentrum der Milchstraße unter normalen Umständen nicht das Geringste verloren hatte.
Was hatten die Schutzherren uns verheimlicht?
Die Oberfläche des Strukturgestöbers hatte sich verändert. In der Holo-Vergrößerung konnte ich eine kleine Zone ausmachen, in der das Wirbeln des Gestöbers zumindest einen Augenblick lang erstarrt zu sein schien, eine kalt anmutende, eisgraue Fläche inmitten heftigen kristallinen Treibens. „Anscheinend hat sich auf der Oberfläche des Strukturgestöbers eine stabile Zone gebildet", stellte Marya Delazar das Offensichtliche fest. „Ortung?", fragte ich.
Gaiomo Gredor zuckte die Achseln. „Ich kann nur beschreiben, was ihr mit eigenen Augen seht. Die Instrumente können auch durch diese Zone nicht in die Wolke eindringen, und die optische Direktbeobachtung liefert keine weiteren Ergebnisse. Da hat sich etwas gebildet, aber ich kann nicht sagen, was es ist."
„Der Durchmesser der Zone?"
Gredor arbeitete an seinen Instrumenten. Ich ahnte bereits, wie seine Antwort lauten würde, und bekam wenige Sekunden später die frustrierende Bestätigung. „Maximal einige Kilometer."
Ich nickte. Bei dieser geringen Größe handelte es sich wahrscheinlich um eine eher zufällige Entdeckung. Immerhin hielt unser kleiner Konvoi bei den Vor-Ort-Beobachtungen der Charon-Schranke im Allgemeinen einen Sicherheitsabstand von mindestens einigen 100 Millionen Kilometern. Auf den aktuellen Holos stellte sich das 24 Lichtjahre durchmessende Strukturgestöber als unübersehbare Wand dar. 100 Millionen Kilometer im Verhältnis zu 24 Lichtjahren - ich verzichtete darauf, den Extrasinn um einen Größenvergleich zu bitten. „Da ist noch so eine stabile Zone!" Marya rief die Daten der Ortungsergebnisse auf und ließ sie von der Positronik auswerten. „Es bleibt dabei, keine weiteren Informationen. Der Biopositronik bleibt nichts anderes übrig, als diese Unregelmäßigkeiten als graue Bereiche darzustellen."
Ich nickte und betrachtete die Holodarstellung, eine Minute lang, zwei, drei. Als ich mir sicher war, sah ich zu den Majoren hoch. „Fällt euch nichts auf?"
Beide schauten mich fragend an. „Die VERACRUZ fliegt mit achtundvierzig Prozent Licht", erklärte ich. „Wir haben diese stabilen Zonen nun schon seit mindestens acht Minuten fix in der Ortung. Was folgert ihr daraus?"
Gredor schloss die dunkelbraunen Augen und öffnete sie nach einer geraumen Weile wieder. „Wie dumm kann man sein?", fragte er. „Natürlich! Diese Zonen vollziehen die Bewegungen der VERACRUZ nach!"
Ich fragte mich erneut, was sich in der Charon-Wolke verbarg und wer sich darin befand.
Offensichtlich verfügte derjenige über die Möglichkeit, das Schiff und seine Bewegungen zu beobachten.
Plötzlich kamen mir die stabilen grauen Zonen vor wie Augen, die uns im Blick hielten, als wollten sie verfolgen, welche Fortschritte wir mit der Enträtselung der Geheimnisse Charons machten. „Bereite zwei Sonden vor", sagte ich zu Alysha Saronn.
Die Kommandantin sah mich fragend an. „Jede Ortersonde, die wir bislang ins Innere der Wolke geschickt haben, ist verloren gegangen, sobald sie die Charon-Schranke überschritten hat."
„Ich weiß", entgegnete ich mit der Gelassenheit, die man von einem relativ Unsterblichen erwartete. „Deshalb möchte ich ein neues Experiment ausführen. Die erste Ortersonde wird mit geringer Geschwindigkeit ins Innere des Strukturgestöbers geschickt, während die zweite, die wir mit einer Hochgeschwindigkeitskamera ausstatten, in kurzem Abstand folgt."
„Du willst also nicht mit Ortern und Tastern, sondern ganz primitiv optisch beobachten, was beim Überschreiten der Charon-Schranke geschieht?"
„Zwei Sonden", bestätigte ich.
Wie erwartet verschwand die extrem langsam fliegende Sonde Nummer eins. Spurlos, einfach so. Als sie in das Strukturgestöber eindrang, fiel sie aus der Ortung, als hätte es sie nie gegeben.
Die zweite Sonde folgte der ersten in Ortungsreichweite, bremste jedoch ab,
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