231 - Der Preis des Verrats
Aiko-Android, als Takeo abbrach.
»Aber warum?«
»Um sie dir zu ersparen«, entgegnete Aiko. »Das Erleben deines Todes. Und das deines Erwachens von den Toten. Nicht nur, um meine Anwesenheit zu kaschieren. Es gibt Erfahrungen, die selbst ein kybernetischer Verstand nicht verarbeiten kann.« Aiko erhob sich abrupt und machte damit klar, dass er nicht weiter darüber sprechen wollte. »Jetzt fehlt nur noch dein Arm. Du kannst mir bei der Suche helfen; gemeinsam schaffen wir es sicher, auch die größeren Felsen beiseite zu räumen.«
Miki sah, dass sich die einzelnen Prothesen seines Körpers in Farbe und Form unterschieden: Sein Oberkörper schimmerte grünlich wie Patina und saß auf einem schmalen Becken. Seine Plysteroxbeine waren goldfarben und unproportional lang. Sicher hatten Hana und Kenzo noch vorgehabt, ihn passend zu lackieren. Sie waren nicht mehr dazu gekommen.
Takeo richtete sich auf. »Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, Aiko! Du hättest viele Gründe gehabt, es nicht zu tun.«
Sein Gegenüber drehte den Kopf weg. »Ich konnte dich schlecht liegen lassen wie ein Haufen Schrott«, sagte er leise. »Ich bin mir sicher, du hättest dasselbe für mich getan, Vater. Wollen wir die Vergangenheit ruhen lassen.«
Während Miki Takeo seine Analyseprogramme startete, sah er sich um. Sie befanden sich in einer weiträumigen Sandmulde zwischen zerklüfteten Felsenwänden. »Etwa siebzehn Kilometer von deinem Ziel entfernt«, klärte Aiko ihn auf. »Ich glaube jedenfalls, dass der Gebirgszug dein Ziel ist. Er liegt auf einer geraden Linie von Waashton hierher.«
»Du warst in Waashton?«, fragte Takeo verwundert.
»Natürlich. Ich bin dir von Amarillo aus gefolgt, in sicherem Abstand. Deine Spur war nicht zu übersehen.« Er stockte und blickte zu Boden; eine überaus menschliche Gestik. »Ich wünschte mir, ich hätte die Stadt nie betreten…«
»Was ist passiert?«
»Ich habe Honeybutt gesehen.« Aiko ging zum Rand der Mulde. Takeo den Rücken zugewandt, schwieg er einige Zeit. »Ich nehme an, du weißt, dass sie schwanger ist… ach nein, du kennst sie ja nicht einmal«, sagte er mit bleischwerer Stimme. Er wandte sich zu seinem Vater um. »Wir haben uns geliebt, Honeybutt und ich. Selbst in meiner schwersten Zeit hielt sie zu mir. Aber sie hat offensichtlich nicht auf mich gewartet. Und wie könnte ich mich ihr jetzt noch offenbaren – in diesem Körper, nur noch ein Schatten meiner selbst?«
Miki Takeo wusste nicht, was er sagen sollte. Es ist gut, dass er ein Android ist, dachte er nüchtern. Ein Mensch hätte diese Schicksalsschläge und diesen Schmerz vermutlich nicht ertragen.
***
23. Oktober 2524, Waashton
Auf dem Marktplatz herrschte Hochbetrieb. Es war um die Mittagszeit. Die reisenden Händler hatten bereits in den frühen Morgenstunden die Stadt betreten, um sich einen guten Verkaufsplatz auf dem großen Basar zu sichern. Die meisten der Angereisten wunderten sich über die strenge Kontrolle an den Toren. Sie wurden nach Waffen durchsucht und mit merkwürdigen Geräten abgescannt.
Diejenigen, die durch das Nordtor Waashton betraten, wunderten sich nur zu Anfang. Später waren sie ernsthaft verärgert: Statt nach einer der Leibesvisitation ihren Weg fortsetzen zu können, wurden sie zu dem Teil des Marktes eskortiert, wo sich die Theaterruine befand. Dort mussten sie sich vor einem Podest aufstellen, auf dem ein junger Mann mit breitkrempigem Hut thronte. Langes schwarzes Haar umrahmte sein kantiges Gesicht. Eingehüllt in einen schwarzen Pelzmantel, blickte er aus dunklen Augen in die Menge.
Die Reisenden warteten ungeduldig. »Was ist los? Warum lässt man uns nicht unserer Arbeit nachgehen?«, protestierte ein hageres Männchen. Andere stimmten ihm lautstark zu.
»Weil euch Rev’rend Rage etwas zu sagen hat!«, rief der junge Gotteskrieger.
Wie aufs Stichwort trat hinter dem Podest ein großer Mann in einem abgeschabten dunkelbraunen Ledermantel hervor. Auch er trug einen Hut. Einen schwarzen Schlapphut, unter dem eine schwarz gefärbte Lockenpracht hervor quoll. Die langen Kotlettenhaare waren zu Zöpfen geflochten. Sein rechter Arm hing in einer Schlinge. In seiner Linken hielt er eine Flinte. Seine Hände steckten in Handschuhen aus speckigem schwarzen Leder. Über seiner linken Schulter ragte der Knauf eines Schwertes aus der Rückenscheide.
Er nannte sich Rev’rend Torture und war der Inquisitor des Waashicans. Drohend langsam näherte er sich dem
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