231 - Der Preis des Verrats
in der rasselnden Stimme mitschwangen, durchaus wahrnehmen. Wenn es stimmte, was der fremde Android sagte, konnten auch dies nur Echos der einstigen Persönlichkeit seines Sohnes sein. Eingebildete Gefühle. Trotzdem klang tiefer Schmerz in ihnen mit.
»Aber das war nur der erste Schock in einer ganzen Serie«, fuhr Aiko fort. »Es ging weiter, als ich mich von den Anschlüssen befreit hatte und nach draußen trat. Die Enklave war verlassen, die Gebäude waren verfallen. Es war definitiv eine längere Zeit vergangen als nur ein paar Stunden. Kein OP-Team, keine Naoki, keine Erklärungen.« Er stockte kurz. »Und dann fand ich dich.«
»Mich?!«
»Deine Überreste, um genau zu sein. Jemand hatte dich mit einer Rakete beschossen und dir anschließend eine Eisenstange durch den Kopf gerammt.«
Mikis Gedanken rasten. Jetzt endlich vervollständigte sich das Bild: Aiko war es also gewesen, der ihn repariert… und seine Erinnerungen an seinen eigenen Tod gelöscht hatte?
»… bis ich dich so weit wiederhergestellt hatte, dass deine letzten Nanobots den Rest erledigen konnten«, drang Aikos Stimme an seinen akustischen Empfänger.
»Aber warum warst du nicht bei mir, als ich wieder hochfuhr?«, fragte Miki – obwohl er die Antwort zu kennen glaubte.
»Muss ich dich an unser Verhältnis erinnern, Vater?«, fragte Aiko, und obwohl seine Stimme emotionslos klang, glaubte Miki den Vorwurf darin zu hören. »Du hast Mutter und mich damals im Stich gelassen, um deine Pläne zu verwirklichen. Jahrzehnte haben wir nichts von dir gehört. Es gab Zeiten, da habe ich dich gehasst. – Gehasst …«, wiederholte er. »Jetzt kann ich nicht mehr hassen. So wie ich nicht mehr lieben kann. Manchmal glaube ich, dass da noch Gefühle sind in dieser verdammten Festplatte, die ich anstelle meines Gehirns trage. Aber das ist nur Illusion. Ich…« Er brach ab und setzte neu an. »… ich musste mir erst Klarheit über das verschaffen, was ich nun bin: eine Maschine, die früher mal Aiko Tsuyoshi war. Jemand hat mir Jahre meines Lebens… nein, mein Leben selbst gestohlen und mich zu dem gemacht, was ich nie sein wollte: ein seelenloser Roboter wie du!«
Miki Takeo war erschüttert. Er fragte sich, wie er in Aikos Lage reagiert hätte. Er selbst hatte sein Schicksal wählen können, hatte nach und nach alle natürlichen Teile durch künstliche ersetzt und sich allmählich zum Androiden gewandelt. Aiko dagegen war als Mensch eingeschlafen – und als künstliches Wesen erwacht. Kein Wunder, dass er das erst verarbeiten musste.
Doch wie hatte es überhaupt dazu kommen können? Was war mit dem Aiko, der am Kratersee gestorben war?
Die Erkenntnis traf Miki Takeo wie ein Schlag.
Aiko, war die Überraschung, die Kenzo Yakamura und Hana Kusakabe in Amarillo für ihn vorbereitet hatten!.
Verfluchte Narren! Sie mussten eine Gedächtniskopie seines Sohnes gefunden haben, die Naoki vor der Operation angefertigt hatte. Sie hatten einen neuen Körper für ihn gebaut und ihm die alten Erinnerungen eingepflanzt!
Sicher, sie hatten es gut gemeint. Sie wollten ihm seinen verlorenen Sohn wiedergeben, von dem er ihnen erzählt hatte. Aber hatten sie auch geahnt, was sie Aiko damit antaten?
Die beiden mussten, bevor sie in der Fabrikationshalle von Crow getötet wurden, die letzten Systemchecks initiiert haben. Nach deren Ablauf war Aiko erwacht – ohne jemanden in der Nähe, der ihm die Situation erklären und seine Fragen beantworten konnte. Ein Wunder, dass er nicht wahnsinnig geworden war. Kein Wunder, das er sich erst einmal zurückgezogen hatte.
Für eine Weile sagten sie beide nichts. Aiko hantierte weiter an seinen Schaltkreisen herum. Irgendwann spürte Takeo, wie sein zentrales System hochgefahren wurde. Während er noch berechnete, wie er weiter vorgehen sollte, flackerten graue Schatten vor seinen künstlichen Augen auf. Erst sah er nur schemenhaft die Umrisse von Aikos Gestalt, dann tauchte deutlich der Kopf seines Sohnes vor ihm auf: Das Gesicht in dem runden Schädel hatte menschliche Züge und verfügte sogar über eine rudimentäre Mimik. Die Augen leuchteten grün. Die beiden Ex-Cyborgs hatten sich wirklich Mühe gegeben. Aber natürlich sah es dem echten Aiko nicht annähernd ähnlich.
»Da ist eine… Lücke in meinem Gedächtnis«, sagte Miki Takeo in die Stille hinein. »Ein Speicherbereich wurde beschädigt, aber das allein erklärt noch nicht…«
»Ich habe einen Teil deiner Erinnerungen dorthin verschoben«, sagte der
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