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231 - Der Preis des Verrats

231 - Der Preis des Verrats

Titel: 231 - Der Preis des Verrats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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hageren Männchen. Trotz seines Silberblicks, der seinem Gesicht etwas Weiches verlieh, wirkte seine Miene hart. Die Leute wichen vor ihm zurück. Als er den Protestler erreicht hatte, setzte er ihm die Flinte auf die Brust. »Du bist hier im Waashican, der Gottesenklave der Stadt. Hier hat nur einer das Sagen, und das ist der HERR! Und unser Erzbischof Rev’rend Rage ist sein Sprachrohr! Also warte ab und höre dann, was er zu sagen hat! Verstanden?«
    Das hagere Männchen presste die Lippen zusammen und nickte. Zufrieden lächelnd ließ Rev’rend Torture von ihm ab. In seinem Mund glänzten Zähne aus Silber. Während er durch die Menge schritt, fixierte er mit seinem Silberblick jeden Mann, jede Frau und sogar jedes Kind, an dem er vorbeikam. Es schien fast so, als suche er nach etwas Bestimmtem.
    Und genau das tat er: Er suchte nach Augen, wie er sie in den Gesichtern der Dämonin Margot und ihren Teufelskindern gesehen hatte. Nie würde er sie vergessen können. Die Dämonen hatten ihr Höllenfeuer auf ihn abgeschossen, ihm seine Schulter zerfetzt und seine Brust mit einem glühenden Eisen durchbohrt. Der Rev’rend knirschte mit seinen Silberzähnen, während er an seinen aussichtslosen Kampf gegen die Höllenbrut dachte.
    Beinahe hätte er sein Leben gelassen im Turm des alten Fordtheaters! Beinahe! Doch der HERR hatte ihm einen Engel geschickt. Einen Koloss von Engel. Mit seinem himmlischen Feuer hatte er die Dämonen zu Asche pulverisiert. Seit jener Stunde wusste Rev’rend Torture, dass er für eine große Aufgabe auserwählt war! Und wenn seine Wunden auch lange nicht verheilt waren, so zwang er sich doch auf die Beine, um SEIN Werk zu tun.
    »Der HERR hat mich aus den Flammen der Hölle gerettet!«, erzählte er jedem, der es hören wollte – und auch denen, die es nicht hören wollten: den Heiden außerhalb Waashicans! Und damit hatte er eine Menge zu tun. Denn die Gottesenklave umfasste nur vierhundert Meter rund um die Theaterruine, dem Hauptquartier der Rev’rends.
    Im Augenblick aber konzentrierte er sich auf die Aufgabe, die Menge der fremden Händler ruhig zu halten, bis der Erzbischof seine Predigt begann. Als er das Podest erreicht hatte, gab er einigen Anhängern die Anweisung, sich unter die Fremden zu mischen. »Sobald Rage seinen Bekehrungsaufruf beginnt, tretet ihr nach und nach vor, um euer sündiges Leben erneut dem HERRN zu übergeben, als gutes Beispiel für die Zögerlichen«, befahl er. Dann hob er seine Flinte in die Luft, zum Zeichen, dass der Erzbischof beginnen konnte.
    Rev’rend Rage erhob sich und trat an den Rand des Podestes. Die Mittagssonne zauberte einen goldenen Glanz auf die schlanke Gestalt in Schwarz. Von den Schnallen seiner Stiefel reflektierte blendendes Licht. »Hört mich an, Volk von Waashton! Hört mich an, ihr Fremden, deren Schritte der HERR in die heilige Gottesenklave gelenkt hat!« Er riss sein Schwert aus der Rückenscheide und stieß es über seinen Kopf in die Luft. »Das Schwert Gottes ist über Waashton gekommen, um die Spreu vom Weizen zu trennen…«
    Torture hörte nur mit halbem Ohr zu. Er bahnte sich seitlich der Menschenmenge einen Weg vorbei an Marktbuden und Verkaufstischen. Obwohl Rev’rend Rage seit dem Überfall unter Depressionen litt und sich fragte, warum der HERR die Seinen derart strafte, hatte seine Stimmgewalt nichts an Wirkung eingebüßt. Er war und blieb ein begnadeter Redner. Und Rev’rend Torture war davon überzeugt, dass es ihm auch heute gelingen würde, viele der Fremden zum HERRN und den Rev’rends zu bekehren.
    Inzwischen hatte er die Marktgrenze erreicht. Zwischen Buden und Hütten wartete sein Gefährt: ein vor Chrom strotzendes Motorrad mit Beiwagen und hochgelegenem Lenker. Er stieg auf den fellbezogenen Sattel und startete das mit reinem Alkohol betriebene Vehikel. Dann nahm er vorsichtig seinen Arm aus der Schlinge. Er gab Gas und brüllte vor Schmerz. Jede Bewegung war Folter. Doch was sollte er machen? Um das Pensum seiner täglichen Dämonensuche außerhalb der Grenzen von Waashican erfüllen zu können, war er auf seinen fahrbaren Untersatz angewiesen.
    Seit die Rev’rends Seite an Seite mit den Ungläubigen gegen die Höllenbrut gekämpft hatten, herrschte so etwas wie Burgfrieden zwischen den Führern der Gottesstaat-Enklave und denen des restlichen Waashton. Was auch nicht weiter schwer war. Nur Rage und er hatten den Überfall überlebt.
    Wie auch immer: Sie mussten zusammenhalten gegen die Dämonen.

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