2319 - Die Siedler von Vulgata
blickte er um sich. „Dumm von dir, Arrick. Dass du deine Sympathisanten ans Messer lieferst, ist die eine Sache. Aber dich mit ihnen dem Tod preiszugeben ... Ich hätte dich für klüger gehalten."
Arrick spürte, wie ein Zittern seinen Körper ergriff. Er fürchtete sich vor diesem Mann und dem, was jetzt folgen würde. Er rief: „Maschinen hast du versteckt gehalten und die Heilige Schrift unserer Väter! Du bist ein Tyrann, Kantur Gotha!" Ihm ging Urin ab vor Angst. Der Tod war nur Augenblicke entfernt. „Mutige Worte für einen, der gerade mehr als zwanzig Menschen in das Verderben geführt hat." Der Patriarch hob eine Braue.
Er sagte kühl: „Erstecht sie!" Gleich darauf aber hob er die Hand: „Wartet.
Zuvor sollen sie sehen, wie ihre irrige Hoffnung verblutet." Er nestelte in seinem Gewand.
Blitzte da nicht Metall auf? Nahm er unauffällig eine Waffe in die Hand?
Der Patriarch hob den Arm und zeigte mit der Hand auf Arrick. „Stirb, Schwächling!"
Eine letzte Hoffnung hatte Arrick. Er drückte die Dose im Schutzgürtel. In diesem Augenblick leuchtete der grüne Blitzstrahl auf. Jetzt geschieht es, dachte Arrick, jetzt sterbe ich.
Grelles grünes Licht gleißte vor seinem Gesicht. Aber er starb nicht. Der Blitz zerbarst im Luftflirren und erlosch.
Kantur Gotha blickte Arrick an wie einen Geist. Sein Gesicht wurde totenbleich.
Arrick zog den Grassichler aus dem Gürtel und streckte nun seinerseits den Arm aus.
Er schaltete ihn ein. Die Waffe begann zu surren. Unter Angstrufen wichen die Bewaffneten zurück. Sie warfen ihre Spieße hin und rannten. Auch Kantur Gotha floh. „Das Buch", raunte Susa, „es beschützt ihn! Es ist stärker als der Patriarch!"
Die Männer fragten: „Sollen wir ihn verfolgen? Er ist jetzt unbewacht, wir können ihn erschlagen!"
„Lasst ihn gehen." Arrick schaltete den Grassichler ab und zeigte auf das Buch in seinem Arm. „Eines der Zehn Gebote sagt: Du sollst nicht töten. Gott ist der Erschaffer des Lebens. Jegliches Leben ist ihm kostbar."
8.
„Eine Frau!", rief Terbo. Stunde um Stunde hatte er Wache gehalten, und auch nach Mitternacht war er nicht bereit gewesen, seinen Posten einem anderen zu übergeben. Arrick verstand es. Terbo fühlte sich schuldig, weil er die Männer des Patriarchen nicht rechtzeitig bemerkt hatte. „Still", raunte Arrick. „Wegen einer Frau müssen wir nicht alle aufwecken." Auch er schlief nicht. Zu viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Er fühlte sich für die Rebellen verantwortlich.
Sie schauten zu ihm auf wie zu einem gestandenen Anführer und schienen vollkommen zu vergessen, dass er ein fünfzehnjähriger Hirtejunge war, nichts weiter.
Wie sollten sie an Nahrung herankommen?
Wasser konnten sie ein Stück oberhalb der Siedlung aus dem Fluss schöpfen. Aber beim nächsten „Einkauf" ins Haus Levitikus zu gehen und den Lagerverwalter des Patriarchen um Getreide und Pökelfleisch zu bitten? Das war unmöglich. Sofort nach seiner Rückkehr hatte Kantur Gotha die Tore im Palisadenzaun schließen lassen und Wachen aufgestellt.
Gut, sie besaßen die Spieße der geflohenen Schergen. Aber Vulgata damit zu erobern?
Undenkbar: Mit zwei Dutzend Männern und Frauen war die zehntausend Köpfe zählende Siedlung nicht einzunehmen. Der Patriarch hatte Zeit. Irgendwann würden sie aufgeben müssen auf ihrem kargen Felsen.
Der Kopf der Frau erschien über dem Rand des Felsplateaus. Er hörte, wie sie leise zu Terbo sagte: „Ich will mit Arrick sprechen."
Die Wolkendecke riss auf, und Vanga leuchtete ihr ins Gesicht. Es war Murielle!
Arrick schoss das Blut ins Gesicht.
Murielle, die mindestens vier Jahre älter war als er, Murielle, die Wunderschöne, kam zu ihm und wollte mit ihm reden.
Er hörte Terbo fragen: „Schließt du dich uns an?"
„Ich bin nicht lebensmüde."
Arrick stand auf. „Hier bin ich. Was willst du?"
Sie kam näher. Wieder hatte sie jenen Blick aufgesetzt, der aussah, als würde sie ein Geheimnis hüten. Ihre großen, dunklen Augen glänzten im Licht Vangas. „Du könntest mein kleiner Bruder sein", sagte sie und lächelte spöttisch.
Es verletzte ihn. Hoffentlich sah sie es ihm nicht an. Er schluckte, versuchte, sich zusammenzunehmen. „Mitten in der Nacht kommst du hier herauf, um mir das zu sagen?"
Sie wurde ernst. Ein großes Messer mit gezackter Klinge zog sie aus dem Gürtel. „Hiermit soll ich dich erstechen." Sie fasste es an der Klinge und reichte es, Griff voran, herüber. „Da, nimm
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